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Ein neuer kalter Krieg? Der Banker Willem Buiter über Zinspolitik, Finanzkrisen und Handelskriege

Ein neuer kalter Krieg? Der Banker Willem Buiter über Zinspolitik, Finanzkrisen und Handelskriege

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Willem Buiter wurde 1949 in den Niederlanden geboren. Im Alter von sechs Jahren zog er nach Luxemburg um, da sein Vater zum ersten Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftssekretariats gewählt worden war. Einige Jahre später verlegte die Familie ihren Wohnsitz nach Brüssel, da der Vater den Posten des Generalsekretärs des Internationalen Bunds Freier Gewerkschaften übernommen hatte. Bis vor Kurzem war Willem Buiter Chefvolkswirt der US-Großbank Citi.

Tageblatt: Leben wir derzeit in einer – wirtschaftlich gesehen – guten oder schlechten Zeit?

Willem Buiter: Das hängt davon ab, wo Sie leben. Insgesamt immer noch wirklich gut. Trotzdem beginnt die Weltwirtschaft, langsamer zu drehen. Ein akutes Risiko, das zu einer Finanzkrise oder zu einem starken wirtschaftlichen Abschwung führen könnte, gibt es derzeit nicht. Risiken gibt es schon, aber in einer weiteren Entfernung.

Es wird viel über einen «Handelskrieg» geredet. Sehen Sie das als eine echte, realistische Gefahr?

Ich glaube nicht, dass wir einen richtigen weltweiten Handelskrieg, jeder gegen jeden, sehen werden. Eigentlich geht es nur um die USA gegen den Rest der Welt. In vielen Teilen der Welt wird der Handel weiter liberalisiert. Man denke an Kanada und die Europäische Union – und an Japan und die EU. Nicht jeder ist damit beschäftigt, neue Zölle einzuführen.

Die USA versuchen, von den meisten ihrer Handelspartner Zugeständnisse herauszupressen. Ich erwarte, dass sie mittelfristig damit auch Erfolg haben werden. Sie werden besseren Marktzugang für viele von ihren Produkten bekommen. Vor allem was den Handel mit China angeht. Immerhin ist es wahrhaftig so, dass Handel mit China zum Teil auf Kosten der Handelspartner geht. Aber all diese Dinge können gelöst werden, zumindest solange es um Handel geht … und werden es auch.

Es darf keine Vermischung mit großen, komplexen geopolitischen Themen aufkommen. Und das haben wir zwischen den USA und China. Es ist ein Konflikt zwischen zwei Supermächten. Sie wollen sich gegenseitig kontrollieren. Und der Handel ist nur eine Waffe in diesem neuen kalten Krieg.

Wie auch die Geschichten um Huawei?

Ja, das ist alles als Teil eines Ganzen zu sehen. Von Cyber-warfare über geistiges Eigentum bis hin zur Kontrolle der nächsten AI-Generation (künstliche Intelligenz) und des Internets.

All diese Dinge überschneiden sich. Die Freiheit des Navigierens durch das Südchinesische Meer, die Position von Taiwan, technische Dominanz. Es handelt sich um einen sehr komplexen neuen kalten Krieg zwischen den USA und China. Der Handel ist nur ein kleiner Teil davon. Das alles kann noch viele Jahrzehnte andauern. Ich erwarte jedoch nicht, dass die Auseinandersetzungen der USA mit der EU oder mit Japan genauso lang dauern werden. Das wird etwa ein Jahr in Anspruch nehmen. So wie mit Kanada. Oder mit Mexiko.

«Egal ob sie es auf die Bank bringen oder Anleihen kaufen, die Rendite ist negativ. Unter der Matratze ist das Geld also besser aufgehoben.»

Willem Buiter

Was glauben Sie, dass US-Präsident Donald Trump will?

Er will einfach nur mehr. Das erinnert mich an eine Geschichte über einen Gewerkschafter. Er hatte auf seinem Büro ein Schild mit dem Wort «more» (Englisch für mehr) stehen. Und wenn er dann mehr erhält, dann steht das Schild immer noch da.

Ihr Vater war ein großer Gewerkschafter?

Ja, er hat mir diese Geschichte erzählt.

Wann werden wir die nächste Rezession erleben?

Dann, wenn wir am wenigsten damit rechnen. Und auch nicht dann, wann ich es vorhersage. Das könnte schätzungsweise spät im Jahr 2020 sein. Wenn dem US-Aufschwung langsam die Luft ausgeht, wenn der steuerliche Stimulus zu Ende geht, wenn der Markt wieder einmal Angst bekommt vor den gewaltigen Schuldenbergen. Wenn die Verlangsamung in den USA und China Auswirkungen auf die EU, Japan und den Rest der Welt bekommt. Also in der zweiten Hälfte des Jahres 2020, wenn ich raten müsste. Ob es eine Krise gibt, weiß ich nicht … aber eine zyklische Rezession.

Und die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank ist immer noch im Nach-Krisenmodus von der Finanz- und Schuldenkrise …

Und die werden die Leitzinsen auch noch lange nach 2019 niedrig halten. Ich erwarte keinen Anstieg der Zinsen in diesem Jahr. Besonders nicht jetzt, wo in der EU die Wirtschaft beginnt, langsamer zu drehen. Und zudem gibt es in Europa auch keine Anzeichen für eine ausufernde Inflationsrate.

In den USA werden die Zinsen in den kommenden Monaten weiter steigen. Das Land befindet sich bereits in einer anderen Phase des Wirtschaftszyklus. Die Wirtschaft wächst schneller als erwartet, höhere Gehälter treiben die Inflation. Mehr Wachstum macht Druck auf die Kosten.

Die EU hingegen kommt aus einer sehr gedrückten Phase. Und es war nur eine zyklische Erholung, die nun bereits deutlich langsamer dreht. Ich glaube nicht, dass die EU bald wieder 1 bis 2,5 Prozent Wachstum sehen wird wie in den letzten Jahren.

Hat die EZB im Zweifelsfall noch Mittel zum Reagieren?

Sie wird die Zinsen dann nicht mehr senken können. Ihr bleibt nur eine Ausweitung der Bilanzsumme. Das hat aber nur wenig Einfluss auf die reelle Wirtschaft. Wir gehen dem nächsten wirtschaftlichen Rückgang entgegen, haben aber nur sehr wenig Öl im Tank der Geldpolitik.

War es ein Fehler, dass die EZB die Zinsen nicht bereits in den letzten paar Jahren erhöht hat?

Sie hatte keine Wahl. Das hätte das Wachstum verlangsamt. Sie mussten das Inflationsziel erreichen. In Ländern wie Deutschland und den Niederlanden hätte es steuerliche Anreize geben müssen – das passierte aber nicht. Und ein geldpolitischer Stimuli ist leider verboten. Insgesamt war es nicht genug.

Die EU-Kommission hat sich zum Ziel gesetzt, den Finanzsektor zu einem wahrhaftigen Akteur im Kampf gegen den Klimawandel zu machen, ihn «grün» zu machen. Wird sie ihr Ziel erreichen?

Die EU-Kommission fordert beispielsweise, dass mehr Informationen über Finanzprodukte gegeben werden müssen. Ich glaube aber, dass der Effekt vor allem kosmetisch sein wird, solange man nicht grüne Aktivitäten nicht irgendwie steuerlich attraktiv macht. Etwa durch das Besteuern von nicht-grünen Aktivitäten. Aber wir wissen ja alle, wie attraktiv das ist. In Frankreich liefen die Gelbwesten Sturm gegen eine Pro-Umwelt-Steuer und sie ist gestorben.

Was kann der französische Präsident Emmanuel Macron unternehmen, um seine aktuellen Probleme zu lösen? Die Verschuldung des Landes ist bereits hoch.

Er muss in allen Bereichen die Ausgaben kürzen. In Frankreich steht der öffentliche Sektor für 55 bis 56 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das ist eine verrückte Zahl.

Das würde die Krise doch verschärfen …

Es gibt nur wenige Möglichkeiten: entweder Steuern rauf oder Ausgaben kürzen. Und mit dem Versuch, die Steuern zu erhöhen, ist er gescheitert. Doch wenn das politische System keine Lösungen finden wird, dann wird alles in einem Schuldenproblem enden.

Haben Sie eine Bemerkung zur Entwicklung der Luxemburger Wirtschaft oder Politik zu machen?

Ich finde es schon interessant zu sehen, dass Luxemburg Cannabis legalisieren will. Das hat eine spannende steuerliche Dimension. Es gibt neue Steuereinnahmen – die für praktisch alles genutzt werden können. Es ist eine fortschrittliche Idee und hat Sinn.

Wie geht es weiter an den Märkten? Ist die Korrektur vorbei?

Es hat etwas Realismus Einzug an den Märkten erhalten. Die Kurskorrektur ist aber noch nicht vorbei, glaube ich. Vor allem wenn weitere negative Nachrichten hinzukommen. Es gibt mehr Potenzial nach unten als nach oben.

Was können Sie «normalen Menschen» raten, die nur kleine Summen haben, diese aber anlegen wollen?

Am besten … Ihr Geld unter die Matratze legen. Egal ob sie es auf die Bank bringen oder Anleihen kaufen, die Rendite ist negativ. Unter der Matratze ist das Geld also besser aufgehoben. Zudem gilt es, die einzige Regel zu respektieren, die immer gültig ist: Das Portfolio am bestmöglichen zu diversifizieren (zwischen Instrumenten, Sektoren, Ländern …).