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Chambre des métiers tesssssssssssssssssssssssssst„Maschinen haben das Handwerk nicht ersetzt“: Tom Wirion über 100 Jahre CDM

Chambre des métiers tesssssssssssssssssssssssssst / „Maschinen haben das Handwerk nicht ersetzt“: Tom Wirion über 100 Jahre CDM
Tom Wirion ist seit rund zehn Jahren Direktor der Luxemburger „Chambre des métiers“ Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Seit nunmehr 100 Jahren wird der Sektor des Handwerks von der „Chambre des métiers“ betreut und mitgestaltet. Heute Abend findet die offizielle Geburtstagsfeier statt. Das Tageblatt hat sich mit Direktor Tom Wirion über die Kammer, ihr Funktionieren und ihre Geschichte unterhalten.

Tageblatt: Warum wurde die „Chambre des métiers“ gegründet?

Tom Wirion: Damals gab es bereits Verbände. Doch mittels einer Berufskammer erhoffte man sich mehr Gewicht. Das Ganze war jedoch nicht so einfach. Es war kein Selbstläufer. Sie wurde dann mit den anderen Kammern gegründet und stand jedoch gleich im Fokus und hat Gesetze zu den Rahmenbedingungen und Finanzierungen fürs Handwerk und für kleine und mittlere Unternehmen mitgestaltet. Das heutige Motto „make – shape – create“ hat sich durch die 100 Jahre gezogen. Bereits 1929 kam beispielsweise ein erstes Gesetz für die Rahmenbedingungen zum „apprentissage“.

Warum war das alles „nicht so einfach“?

Es gab die Sorge, dass die Berufskammer zu sehr zu einer Interessenvertretung von Partikularinteressen werden könnte. Wir vertreten jedoch das Handwerk als Ganzes – nicht nur den Chef, sondern den Betrieb, die Mitarbeiter. Es gab die Angst, dass es gleich wie bei den Verbänden sein würde. Bei unseren „Avis“ vertreten wir jedoch nicht nur die Meinung der Unternehmer – wir schauen auf das „intérêt général“. Das unterscheidet uns von anderen Interessenvertretungen.

Warum gibt es für Unternehmen eine „Chambre des métiers“ und eine „Chambre de commerce“?

Die Unternehmenschefs haben drei zur Auswahl: die Landwirtschaftskammer, die Handelskammer und die Handwerkskammer. Die beiden ersten gab es schon etwas länger. Aber es gibt schon Unterschiede zwischen den Sektoren und es ist für jeden wichtig, eine eigene Repräsentation zu haben.

Was ist das Handwerk?

Vom Handwerk gibt es keine gesetzlich festgeschriebene Definition. Es ist eine im Gesetz stehende Liste von 130 Handwerksaktivitäten. Der Zugang zu den Berufen ist an Qualifikationen gebunden. Die Ausbildung ist wichtig. Alles wird regelmäßig aktualisiert. Manche Berufssparten wurden in den letzten Jahren zusammengelegt (zum Beispiel Bäcker, Patissier, Traiteur). Letztes Jahr neu hinzugekommen sind beispielsweise der „réparateur de matériel de communications mobile“, der „tatoueur“ und der „confectionneur d’articles de cosmétiques“. Diese Liste ist ein Symbol der Dynamik des Handwerks. Seine Aufgabe ist es, Luxemburg zu bauen. Alle Transitionen. Es ist ein konstanter Reformprozess. Wer hätte vor 20 Jahren mit dem Abstieg von Heizöl und dem Zuwachs bei Elektrizität gerechnet?

Eine Bäckerei im Supermarkt – zählt die auch zum Handwerk?

Manche Betriebe, deren Aktivitäten nicht zuzuordnen sind, sind in den beiden Kammern vertreten. Das sind aber nur sehr wenige.

Wie groß ist das Handwerk?

Das sind aktuell rund 8.900 Betriebe und 107.000 Mitarbeiter. Damit stehen wir für etwa 20 Prozent der Beschäftigung und 29 Prozent der Betriebe.

Wir müssen heute vordenken, um richtig zu beraten, um die richtigen Ausbildungen anzubieten. Und das alles geht immer schneller.

Wie hat sich das in der Zeit verändert?

Vor 100 Jahren waren Bäcker, Metzger und Schneider sehr starke Berufsstände. Mehrere 100 Schneider gab es damals. Vor 30 Jahren gab es dann fast keine mehr. Nach der Reform des Niederlassungsrechts 2011 gibt es nun wieder einige. Der Bau derweil war immer schon vorherrschend. Heute wie damals. Etwa zum Bau der Festung. Die Basis der Handwerksberufe ist derweil immer die Qualifizierung. In anderen Sektoren hat das weniger Gewicht.

Es gibt aber auch die Kritik, diese Kriterien wären eine Hürde, um den Markt vor neuen Einsteigern zu schützen …

Ein Vorwurf, den ich heute viel weniger höre als früher. Die Qualifikation ist schon sehr wichtig. Auch unsere Untersuchungen, welche Firmen pleitegehen, zeigen eine Verbindung mit der Qualifikation des Firmenchefs. Qualifikation und Erfolg gehen zusammen. Das Handwerk ist komplexer als das einfache Betreiben eines Geschäfts. Teils andere Anforderungen, teils höhere Anforderungen. Ein Garant für Qualität, ein Synonym für nachhaltiges Unternehmertum. Daher bilden wir auch in den Betrieben aus. Das ist eine Tradition, die sich bewährt hat. Hinzugekommen ist die „formation continue“.

Was ist die Mission der Handwerkskammer? Hat sie sich in der Zeit verändert?

Ja, anfangs lag der Fokus auf dem Begleiten des legislativen Prozesses. Ein Verbessern der Rahmenbedingungen. Das und die Ausbildung. Beratung und Dienstleistungen sind hinzugekommen, etwa um die Firmengründung, den Einsatz von Technik, die Digitalisierung oder Nachhaltigkeit. Viele kleine Betriebe haben nicht die notwendige Zeit und Mittel, um sich damit zu befassen. Alles ist gedacht, um den Sektor voranzubringen. Wir müssen heute vordenken, um richtig zu beraten, um die richtigen Ausbildungen anzubieten. Und das alles geht immer schneller.

Die Alterspyramide sieht nicht gut aus: In den nächsten zehn Jahren werden sehr viele Mitarbeiter in Rente gehen. Die gilt es zu ersetzen.

Was sind die aktuell größten Herausforderungen?

Erstens die Energiewende. Sie ist nicht nur eine Herausforderung für Haushalte, sondern auch für Betriebe und ihre Räumlichkeiten. Zweitens gilt es, bei der Digitalisierung den Zug nicht zu verpassen. Dann, drittens, das Halten der qualifizierten Mitarbeiter. Die Alterspyramide sieht nicht gut aus: In den nächsten zehn Jahren werden sehr viele Mitarbeiter in Rente gehen. Die gilt es zu ersetzen. Auf dem Bau und in anderen Bereichen. Insgesamt geht es darum, den Unternehmen zu helfen, sich gut für die Zukunft aufzustellen, möglicherweise in zusätzliche Geschäftsfelder einzutreten.

Es gibt eine Nachfrage nach Wohnraum, Arbeiter sind verfügbar … Warum baut der Sektor nicht einfach Wohnungen vor?

Das ist alles nicht so einfach. Die Nachfrage, der Bedarf, ist zwar da, aber sie wird nicht abgerufen. Es sind vor allem Betriebe, die für Bauträger gearbeitet haben, die nicht breit genug aufgestellt waren, die Schwierigkeiten haben. Nicht jedes Unternehmen hat die notwendigen Kapazitäten (auch finanzieller Natur) und die notwendige Zeit, um das zu stemmen. Auch dauert das Ausstellen von Baugenehmigungen oftmals Jahre. Das Telefon klingelt einfach nur sehr wenig. Nun muss man sehen, wie die neuen staatlichen Maßnahmen wirken.

Wie funktioniert die Kammer?

Die Vollversammlung der Handwerkskammer besteht aus 25 gewählten Mitgliedern und drei Mitgliedern, die von der „Fédération des artisans“ (FDA) für eine Dauer von fünf Jahren ernannt werden. Die gewählten Mitglieder sind in sechs Wahlgruppen (Tätigkeitsbereiche) eingeteilt, je nach Gewicht des Sektors. Die Vollversammlung wählt einen Präsidenten und zwei Vizepräsidenten. Zusammen mit je einem Vertreter pro Sektor bilden sie dann das „comité“. Auch vertreten (ohne Stimmrecht) ist der FDA-Präsident. Unterstützt wird das Gremium vom Team der 87 Mitarbeiter der Kammer.

Was ist die Rolle der „Fédération des artisans“?

Die FDA vertritt den Patron, den Arbeitgeber. Sie verhandelt unter anderem über Kollektivverträge. Die Handwerkskammer hat andere Aufgaben. Das ergänzt sich gegenseitig. Es ist eine Rollenaufteilung, die gut funktioniert.

Kann man die 100-jährige Geschichte in große Etappen unterteilen?

Bis zum Zweiten Weltkrieg ging es vor allem um große, strukturelle, gesetzliche Maßnahmen. Danach erhielt die Kammer ihr eigenes Gesetz. Wir konnten nun Initiativen nehmen, um den Sektor zu stärken, etwa mit Finanzierungsmöglichkeiten in den technologischen Fortschritt. Anfangs war die Skepsis groß. Doch Maschinen haben das Handwerk nicht ersetzt. Bis 1970 bestand das Handwerk zum großen Teil (90 Prozent) aus individuellen, persönlichen Handwerksbetrieben. „Der Handwerker versteckt sich nicht hinter einer Sàrl“, hieß es damals. Die Digitalisierung wird das Handwerk nun wieder verändern, stärken, attraktiver machen.

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