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Welches Europa?

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Mit dem 100. Jahrestag des Anfangs des Ersten Weltkriegs steht das Jahr 2014 eindeutig im Zeichen der Geschichte. Doch auch die im Mai anstehenden Europawahlen riskieren von historischer Bedeutung zu sein.

Es geht nämlich um die ganz prinzipielle Frage, welches Europa wir in Zukunft eigentlich wollen und welche EU-Politik die europäischen Bürger brauchen.

Michelle Cloos mcloos@tageblatt.lu

In Luxemburg werden wir dann auch endlich eine richtige europäische Wahlkampagne haben, die nicht wie sonst üblich von den Parlamentswahlen überschattet wird. Das könnte wichtiger denn je sein.

Bei der EU-Wahl bestimmen die Bürger der verschiedenen europäischen Länder ihre jeweiligen Abgeordneten für das EU-Parlament (in Luxemburg wählen wir sechs Parlamentarier). Doch die Wahlkampagne bestimmt diesmal nicht nur die künftige Zusammensetzung des Europaparlament, das Wahlresultat wird auch ausschlaggebend für die Besetzung des Amtes des Kommissionspräsidenten sein.

Diesmal soll folglich für jeden Wähler klar sein, welcher europäischen politischen Familie die unterschiedlichen nationalen Parteien angehören, und die europäischen Parteien treten mit einem Spitzenkandidaten an. Dadurch wird deutlicher, für welche politischen Überzeugungen, für welche Vision(en) von Europa und für welche Weltanschauung die Parteien eintreten.

Eine negative Bilanz

Die Wahlkampagne sollte aber auch der Moment der Bilanz der aktuellen EU-Kommission sein. Das Fazit ist nämlich ernüchternd: Barroso II hat in puncto Sozialpolitik und Krisenbekämpfung schlichtweg versagt.

Die Arbeitslosigkeit liegt auf erschreckend hohem Niveau, die sozialen Ungleichheiten sind gestiegen, die Armut hat sich verbreitet, anstatt sich zu verringern. Sechs Jahre nach der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise gibt es keinen Zweifel daran, dass in Europa die sozial Schwachen und die Mittelschicht die Lasten der Austeritätspolitik getragen haben. Sollte sich das sich abzeichnende Wirtschaftswachstum bestätigen, darf man jedoch Zweifel hegen, wer denn von einem künftigen Aufschwung profitieren wird. Die als „Sparpolitik“ getarnten Attacken auf bestehende Errungenschaften hatten jedenfalls verheerende Folgen, sowohl auf sozialer wie auf ökonomischer Ebene. Aber auch Gesundheit und Psyche werden von solchen Entwicklungen negativ beeinflusst. In einem interessanten Beitrag auf der Website der New York Times (2.2.2014) zeigen Richard Wilkinson und Kate Pickett, dass wachsende soziale Ungleichheiten zu einer Ausweitung der psychischen Krankheiten führen und dass sie die Gesellschaft folglich schwächen.

Europa braucht demnach eine Kommission und ein Parlament, die den politischen Kurswechsel wollen und vor allem auch vollziehen. Sozial, gerecht, demokratisch: das sollten die Leitmotive der EU-Politik sein, eine EU-Politik, die Verbesserungen anstrebt und für den Fortschritt kämpft, anstatt eine Anpassung nach unten zu fördern.

Eine Weiterführung der Politik der vergangenen Jahre wäre nicht nur falsch, sondern auch gefährlich. Sie würde die Wirtschaft bremsen, den sozialen Absturz verstärken, Frustrationen und Perspektivlosigkeit schaffen, Populismus schüren und die Glaubwürdigkeit der Politik langfristig untergraben.