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Der Mann und die Aufgabe

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Der Schulz-Juncker-Deal scheint zu klappen: Wenn ich Präsident des Parlamentes werde, wirst du Präsident der Kommission.

Eben haben die Konservativen Schulz in Straßburg durchgewunken, und im Gegenzug werden die Sozialisten nächste Woche für Juncker stimmen. Das nennt man Arbeitsteilung!

«Kaum ein führender Europäer, und das schließt Angela Merkel ein, will Juncker wirklich», schreibt die auch in Luxemburg viel gelesene Zeit. – «Der Luxemburger steht für ein Europa, das hilflos in die Krise geschlittert ist – und für sein eigenes Ländchen, das in hohem Maße von der Steuerflucht aus den Partnerländern lebt.»

Wie undankbar sie doch sind, diese Deutschen! Da schenken wir kleinen Luxemburger Europa unseren besten Mann, dem alle Staats- und Regierungschefs, ausgenommen der böse, böse Cameron und der schlimme Orban, Brüssel mit seinen 30.000 Beamten anvertrauen, was sie ja nicht täten, wenn sie Zweifel an seinen fachlichen und menschlichen Qualitäten hätten, und wie wird uns gedankt? Mit der doppelt gehässigen Bemerkung, Juncker verkörpere das Kriseneuropa und das diebische Großherzogtum!

Mit solch massiven Beschuldigungen, die ja nicht von der ruchlosen englischen Gossenpresse erhoben werden, die einen ausspioniert, sondern vom Referenzblatt der deutschen Eliten, müssen wir uns natürlich ernsthaft auseinandersetzen.

Wie denn, liebe Freunde in Hamburg und auch sonst wo jenseits der Mosel, wäre Juncker in Verbindung zu bringen mit dem wirtschaftlichen Niedergang und dem sozialen Raubbau in den meisten EU-Staaten? Hat er nicht, als Vorsitzender der Eurogruppe, lediglich seinen Job gemacht, der darin bestand, die Schuldensünder auf den Weg der neoliberalen Tugenden zu führen, von denen die erste im Abbau der Haushaltsdefizite besteht? Dass dafür Austeritätsmaßnahmen erforderlich wurden, die im Endeffekt Millionen und Abermillionen Griechen, Portugiesen, Spanier, Italiener und Franzosen (ach! diese Südländer) und andere Europäer ins Elend stürzten,
kann doch nicht ihm angelastet werden, oder zumindest nicht ihm allein. Und was den zweiten Vorwurf anbelangt, jenen, bei dem es ums gebunkerte Geld geht, so lasst euch sagen, ihr Neider, dass im souveränen Staat
Luxemburg jede Menge finanztechnisches Können zur Verfügung steht, was reiche und wohlhabende Kunden aus aller Welt und sogar aus Deutschland zu schätzen wissen.

Ganz im Ernst jetzt: Luxemburg ist nicht «Junckers Ländchen», Luxemburg ist eines der sechs Gründungsmitglieder der zur Europäischen Union gewordenen Wirtschaftsgemeinschaft. Die Römischen Verträge von 1957 (das war erst zwölf Jahre nach dem europäischen Bürgerkrieg) fußten auf den CECA-Verträgen von 1951, die zur Gründung der ersten übernationalen europäischen Behörde überhaupt geführt hatten, und zwar in Luxemburg.

Das «Ländchen», das mühsam von seiner Stahlindustrie und von der Landwirtschaft lebte, öffnete sich europäischem Gedankengut nicht aus schierem materiellem Nutzerdenken, sondern in der Überzeugung, dass das endlich befriedete und friedliche Europa nur dann zustande käme, wenn neben der politischen Freiheit auch die soziale Gerechtigkeit angestrebt würde, mittels einer Umverteilungspolitik nach sozialdemokratischem Muster.

Auf dieses Ideal wurde bis zu den Verträgen von Maastricht ziemlich zielstrebig hingearbeitet. Dann, in den späten Neunzigerjahren, bettete sich der Neoliberalismus amerikanischer Prägung in Brüssel. Auf dem via Deregulierung entfesselten Markt grassiert nun die Profitsucht;
in die Chefetagen der transnationalen Konzerne zog eine neue Geldmachergeneration ein, die sich keinen sozialen Standards verpflichtet fühlt; Unternehmenstransfers in Billiglohnländer, Betriebsschließungen wegen ungenügender Gewinne, systematischer Abbau der Lohnkosten mittels Entlassungswellen werden von den Börsen mit Kursgewinnen wie nie belohnt.

Europa, die EU, wandelte sich von einem politischen Projekt, bei dem die Menschen im Mittelpunkt standen, zu einer Wirtschaftsplattform für «die Märkte», denen sich die Politik quasi widerstandslos unterwarf.

Ironie der Geschichte

Was soll Juncker unter diesen Voraussetzungen in Brüssel ausrichten? Merkel und Cameron, die zwei heimlichen Alliierten, werden ihn derart in die Zange nehmen, dass ihm die Luft für saloppe Sprüche abhanden kommt.

Mit Renzi und Hollande wird er keinen Durchmarsch wagen, die sind ihm irgendwie wesensfremd. Und die kleinen Großen, die großen Kleinen und die übersehbaren Kleinsten sind sowieso nur Statisten auf der EU-Bühne.

Zu diesen Statisten zählt natürlich Junckers Ländchen, das sich auf allerhand Foltern einstellen sollte.

Die demnächst von Juncker im Auftrag der Großen zu erlassenden Regeln werden die letzten Reste unserer Steueroberhoheit infrage stellen und damit die finanzielle Grundlage des Staates erschüttern.

Ist es nicht Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet einem Luxemburger diese Rolle zufällt?

Alvin Sold