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Das Fressen und die Moral

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Haben auch Grenzgänger bzw. deren studierende Kinder Anrecht auf eine finanzielle Unterstützung seitens des Luxemburger Staates? Diese Frage beschäftigt seit Monaten die Politik, die Gewerkschaften und – ob der Unstimmigkeiten zwischen beiden Parteien – auch die EU-Kommission sowie den Europäischen Gerichtshof.

Aus juristischer Sicht geht es bei dem Streitfall um die zentrale Frage, ob es sich bei der finanziellen, sich aus einem Darlehen und einem Stipendium zusammensetzenden Unterstützung um eine Sozialleistung handelt oder nicht. Wäre dem nämlich so, wäre sie als solche „exportierbar“ und die Grenzgänger müssten ohne Wenn und Aber in den Genuss der gleichen Leistung wie die Einheimischen kommen.
Im gegenteiligen Fall aber, wenn es sich bei der Leistung vielmehr, wie von Ressortminister François Biltgen gebetsmühlenartig betont wird, um ein Instrument der Hochschulpolitik handeln würde, die unter den nationalen Kompetenzbereich fällt und prinzipiell durchaus an eine Residenzklausel gekoppelt werden kann, dann würden die Grenzgänger, welcher Nationalität auch immer, außen vor bleiben.

Tom Wenandy

Frühestens im Herbst wird sich der Europäische Gerichtshof in dieser Angelegenheit äußern, dann wird man wissen, ob die von Luxemburgs Regierung angeführten Argumente die Richter überzeugen konnten.

In Erwartung der Dinge und als Reaktion auf ein ähnliches Urteil in Bezug auf eine niederländische Regelung hat François Biltgen, vorsorglich und um das Image der Luxemburger Politik in den Nachbarländern besorgt, vergangene Woche versucht, die Luxemburger Öffentlichkeit über die Medien auf seine Seite zu ziehen.

Fragwürdige Argumente

Dabei war die von Biltgen an den Tag gelegte Haltung doch etwas überraschend, wenn aus politisch-strategischen Gründen auch nachvollziehbar. Biltgen zeigte sich nämlich zweckoptimistisch. Er wertete das Urteil gegen die Niederlande nicht als ein für die Regierung schlechtes Omen, sondern – ganz im Gegenteil – als positiv im Sinne einer Anerkennung der Residenzklausel. Schließlich sei die Situation in den Niederlanden eine ganz andere.

Über diese Schlussfolgerung kann man geteilter Meinung sein, genauso wie über Teile der von der Regierung schriftlich bei der „Cour de Justice“ eingereichten Argumentation.

Sicherlich kann man sagen, dass die Mehrheit der aus Luxemburg stammenden Studenten trotz der Schaffung der Uni.lu immer noch ihr Hochschulstudium im Ausland absolvieren müssen und dass die finanzielle Unterstützung in diesem Sinne absolut notwendig ist. Auch und vor allem im Sinne der sozial Schwächeren. Ob man aus dieser Tatsache aber ableiten kann, dass es sich bei der Unterstützung um ein Instrument zur Förderung der Mobilität und nicht um eine Sozialmaßnahme handelt, ist zweifelhaft. Das scheint auch der Regierung bewusst zu sein, ansonsten sie wohl keine weiteren Argumente angeführt hätte.

Gelten lassen kann man auch das von Biltgen angeführte Argument nicht, dass man ein „Return-on-Invest“ brauche und Pendler-Kinder sich später nicht in den Dienst der hiesigen Wirtschaft stellten. Warum nicht?
Wer sagt das? Warum täten sie es nicht ihren Eltern gleich?

Kein Argument ist auch die Feststellung, dass die Finanzhilfe seit jeher an eine Residenzklausel gebunden war – und es bislang niemanden gestört hat. Schließlich ist eine Regelung, die ggf. fälschlicherweise eingeführt wurde, nicht auf alle Ewigkeit unabänderbar.
Neben dem rein juristischen gibt es aber noch einen, nicht minder wichtigen, moralischen Aspekt. Denn auch wenn die Pendler gut in Luxemburg, besser als in ihrer Heimat, verdienen, so tragen sie doch gleichzeitig nicht unwesentlich zum Wohlstand aller Einheimischen bei. Demzufolge müsste es – aus Respekt, Anerkennung, großregionaler Solidarität oder einfach aus Gerechtigkeitsgründen – eine Selbstverständlichkeit sein, die Pendler gleich zu behandeln. Alleine die Tatsache, dass die Regierung in ihrer Argumentation hochrechnet, was die Finanzhilfen für Pendler zusätzlich kosten würden, zeigt aber, dass die Luxemburger Regierung nur die (eigenen) Finanzen im Blick hat und darüber alles andere vergisst.

Frei nach Bertolt Brecht: Erst kommt das eigene Fressen, dann die Moral.