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Covid-19Erneuter „état de crise“ trifft auf wenig Gegenliebe im Parlament

Covid-19 / Erneuter „état de crise“ trifft auf wenig Gegenliebe im Parlament
„Wa mer e Mëttwoch géifen en Text unhuelen, wier ech frou, wann deen de Samschdeg kéint gestëmmt ginn. (...) Wann dat net de Fall ass, da muss een iwwer den état de crise kënnen diskutéieren“, sagte Premierminister Xavier Bettel (DP) am Samstag auf Radio 100,7. Foto: Editpress/Julien Garroy

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Wegen der aktuellen Covid-19-Lage könnte der Regierungsrat noch in dieser Woche neue Maßnahmen beschließen. Zusätzliche Erkenntnisse zu den Infektionszahlen und zur Auslastung der Krankenhäuser sollten bis Mitte dieser Woche verfügbar sein. Am Samstag hatte Premierminister Xavier Bettel auf Radio 100,7 sogar einen zweiten „état de crise“ in Erwägung gezogen, falls das Parlament nicht schnell genug an der Umsetzung neuer Gesetze arbeiten könne. Die Oppositionsparteien sind kategorisch gegen einen erneuten Ausnahmezustand. Selbst Abgeordnete der Mehrheitsparteien sind inzwischen der Ansicht, es sei besser, Regierung und Parlament würden weiterhin gemeinsam nach Lösungen suchen.

Es klang wie eine Drohung. „Wa mer e Mëttwoch géifen en Text unhuelen, wier ech frou, wann deen de Samschdeg kéint gestëmmt ginn. (…) Wann dat net de Fall ass, da muss een iwwer den état de crise kënnen diskutéieren“, sagte Premierminister Xavier Bettel (DP) am Samstag auf Radio 100,7. Hintergrund waren Beschwerden der Abgeordneten, die bemängelten, dass sie vergangene Woche nur drei Tage Zeit hatten, um den letzten Covid-19-Gesetzentwurf samt aller Gutachten zu studieren, bevor sie ihn im Gesundheitsausschuss erörtern und anschließend in öffentlicher Sitzung diskutieren und votieren sollten. Auch der Staatsrat geriet unter Zeitdruck und stellte Unzulänglichkeiten in dem unausgereiften Text fest, die die hohe Körperschaft gleich zur Androhung von zwei „Oppositions formelles“ veranlassten.

Aufgrund neuer Erkenntnisse zur Entwicklung der Corona-Pandemie könnte der Regierungsrat in dieser Woche zusätzliche Maßnahmen beschließen. Eine für den heutigen Mittwoch angekündigte Sitzung wurde laut RTL gestern abgesagt. In welche Richtung es gehen wird, ist unklar. Die Zahl der Neuinfektionen schwankt, die Virenlast in den Kläranlagen scheint zu sinken. Gleichzeitig steigt die Zahl der Hospitalisierungen und der Toten durch Covid-19 weiter an. Vor diesem Hintergrund stellen sich mehrere Fragen. Ist die Situation von heute vergleichbar mit der von März, als die Corona-Krise Luxemburg unvorbereitet traf? Ist die Lage so ernst, dass es auf ein oder zwei Tage ankommt, bis neue Maßnahmen in Kraft treten? Könnte der Zeitdruck für Staatsrat und Parlament verringert werden, wenn die Regierung erneut den umstrittenen „état de crise“ ausruft? Die Meinungen gehen auseinander.

„Verfassungsrechtlich kein Problem“

Rein rechtlich sollte es kein Problem darstellen, den Ausnahmezustand ein weiteres Mal zu dekretieren, wie der frühere Präsident der parlamentarischen Institutionskommission, Alex Bodry (LSAP), darlegt. „Meiner Ansicht nach sind die Bedingungen durch die sanitäre Krise, die Notwendigkeit, schnell zu handeln, und die Dringlichkeit, dass die legislativen Prozeduren zu lange dauern, erfüllt, um den Ausnahmezustand auszurufen“, sagt Bodry. Auch die Annahme, dass der „état de crise“ nur einmal für dieselbe Krise verhängt werden könne, sei nicht mehr gegeben, betont Bodry, der 2016 Berichterstatter der Verfassungsänderung war, durch die der Anwendungsbereich des Ausnahmezustands von internationalen auf nationale Krisen erweitert wurde. Zwar sei es prinzipiell nicht möglich, den Ausnahmezustand direkt nach Ablauf der maximalen Frist von drei Monaten noch einmal aus den gleichen Motiven zu verlängern, doch seit dem Ende des ersten „état de crise“ im Juni seien über vier Monate verstrichen, sodass dies kein verfassungsrechtliches Hindernis darstellen sollte.

Damit sind aber nicht alle Probleme gelöst, denn der „état de crise“ kann zwar eigenmächtig von der Regierung ausgerufen werden, doch ohne Zustimmung des Parlaments kann er nur zehn Tage aufrechterhalten werden. Innerhalb dieses Zeitraums müsste die Regierung entweder erneut ein Gesetz zur Verlängerung des Ausnahmezustands um bis zu drei Monate vorlegen oder einen Entwurf ausarbeiten, in dem sie den Maßnahmen, die sie während des Ausnahmezustands per großherzoglichem Reglement dekretiert, eine gesetzliche Grundlage verleiht. Damit die Maßnahmen in Kraft bleiben können, müsste dieses Gesetz dann vor Ablauf des „état de crise“ von der Abgeordnetenkammer mit einer einfachen Mehrheit angenommen werden.

„Antidemokratisch“ und „Angriff auf den Rechtsstaat“

Für eine Verlängerung des Ausnahmezustands bedarf es einer Zweidrittelmehrheit im Parlament, die unter den aktuellen Umständen eher unwahrscheinlich ist. Denn dafür braucht es die Zustimmung der CSV, die mehr als ein Drittel aller Abgeordneten stellt. Die größte Oppositionspartei erkennt zurzeit aber keine Ursache, die einen erneuten Ausnahmezustand rechtfertigen würde, wie ihre Fraktionschefin Martine Hansen erläutert. Die Regierung habe verkündet, sie arbeite seit vergangenem Sonntag an einem neuen Text. Wenn sie diesen Entwurf den Parlamentariern zur Verfügung stellen würde, könnten diese sich jetzt schon damit auseinandersetzen, so Hansen. Auf diese Weise könne vermieden werden, dass der Abgeordnetenkammer wieder nur drei Tage Zeit bleiben, um sich mit neuen Maßnahmen zu beschäftigen. Die CSV vermisst zudem einen Stufenplan, in dem konkret festgelegt wird, unter welchen sanitären Bedingungen welche Maßnahmen notwendig werden.

Auch die anderen Oppositionsparteien schließen einen erneuten „état de crise“ kategorisch aus. Der linke Abgeordnete Marc Baum spricht im Hinblick auf das Vorgehen der Regierung von einer „Blackbox“. Die Maßnahmen würden nicht mit dem Parlament besprochen, die Entscheidungsgrundlagen würden nicht offengelegt. „Wenn die Regierung neue Maßnahmen will, hätte sie sich schon am Montag, am Dienstag und am Mittwoch mit der zuständigen parlamentarischen Kommission zusammensetzen können“, sagt Baum. Die Piraten hatten den Premierminister bereits am Montag in einer Mitteilung dazu aufgefordert, seinen antidemokratischen Ton zu unterbinden und das Parlament aktiv in die Krisenstrategie mit einzubeziehen. Der ADR-Abgeordnete Fernand Kartheiser deutet Bettels Aussage als Angriff auf den demokratischen Rechtsstaat: „Bettel droht damit, dass er den Krisenzustand ausrufen kann, wenn das Parlament nicht innerhalb einer bestimmten Frist die Maßnahmen der Regierung gutheißt. Dann könnte die Regierung zehn Tage lang selber legiferieren, ohne dass das Parlament diese Entscheidungen später wieder aufheben kann, weil die Regierungsparteien ja die Mehrheit im Parlament haben. Das ist für uns inakzeptabel“, betont Kartheiser.

Die Mehrheitsparteien selbst wollen sich erwartungsgemäß einem erneuten Ausnahmezustand „nicht verschließen“, wie DP-Fraktionschef Gilles Baum es ausdrückt. LSAP-Fraktionspräsident Georges Engel und die grüne Fraktionschefin Josée Lorsché sind der Ansicht, dass – falls die Situation es erfordert – ein „état de crise“ von zehn Tagen den Abgeordneten die Möglichkeit bieten würde, länger und ausgiebiger über den nächsten Gesetzentwurf zu diskutieren, als es vergangene Woche der Fall war. „Ich kann nachvollziehen, dass die Regierung sich diesen Handlungsspielraum zugestehen will, um schnell Beschlüsse zu fassen, damit sie die Lage in den Griff bekommt. Parlament und Staatsrat stoßen irgendwann an ihre Grenzen, wenn sie zu schnell arbeiten müssen“, sagt Engel. „Wenn sich herausstellt, dass die bisherigen Maßnahmen nicht greifen und die Zahl der Covid-Patienten in den Krankenhäusern aus dem Ruder läuft, wäre der Ausnahmezustand der letzte Trumpf, den man ziehen könnte, auch wenn er einer Demokratie nicht gut zu Gesicht steht“, meint Josée Lorsché. Es sei ja nicht so, dass Luxemburg deswegen in eine Diktatur abrutsche. Die Verfassung sehe genug Sicherheitsmaßnahmen vor, um die parlamentarische Demokratie zu schützen.

„Solange uns der Himmel nicht auf den Kopf fällt …“

Doch selbst innerhalb der parlamentarischen Mehrheit werden Stimmen laut, die einen erneuten Ausnahmezustand durchaus kritisch sehen. Er sei der Ansicht, dass die normale legislative Prozedur, die das Parlament in den vergangenen Monaten angewandt hat, sich bewährt habe, bekundet etwa der Vorsitzende der Gesundheitskommission und des Institutionsausschusses, Mars di Bartolomeo (LSAP). „Solange uns der Himmel nicht auf den Kopf fällt, sollten Kammer, Staatsrat und Regierung gut zusammenarbeiten“, sagt der frühere Gesundheitsminister. Die Geschwindigkeit, mit der die Institutionen ihre Arbeit erledigen können, hänge vor allem von der Qualität der vorgelegten Texte ab. Ein erneuter Ausnahmezustand sei zwar kein No-Go, sollte aber nur die allerletzte Lösung sein, unterstreicht Di Bartolomeo. Auch der Vorsitzende der parlamentarischen Justizkommission, Charles Margue („déi gréng“), geht davon aus, dass ein neuer „état de crise“ in der aktuellen Situation nicht notwendig sei, und setzt auf die Zusammenarbeit zwischen Kammer und Regierung. „Wir befinden uns in einer ‹Urgence›, aber nicht in einer ‹Hyper-Urgence›. Wir werden heute nicht komplett überrascht von dem, was morgen passieren wird“, verdeutlicht Margue. Als Präsident der Justizkommission sei es ihm lieber, dass neue Maßnahmen einen Tag später in Kraft treten, als dass sie über den Ausnahmezustand verhängt werden, sagt der frühere Meinungsforscher, der wie die CSV einen Stufenplan fordert. In einer Krise sei es wichtig, den Bürgern zu zeigen, dass die Institutionen funktionieren.

Wann der Regierungsrat zusammenkommen wird, war bis Dienstagabend noch unklar. Die parlamentarische Gesundheitskommission wolle er spätestens am Donnerstag zusammenrufen, um über die neue Situation zu beraten, kündigte Mars di Bartolomeo am Dienstag an.

de Prolet
6. November 2020 - 13.53

Und Corona trifft auf wenig Gegenliebe in der Bevölkerung. Wenn jetzt nicht konsequent gehandelt und durchgegriffen wird, wird uns dieses tödliche Virus mit all seinen negativen Begleiterscheinungen nur umso länger begleiten.

Jeff
5. November 2020 - 8.02

@HTK - Ech fannen dass Regierung genuch Zäit huet fir ze Handelen. Mir brauchen keen état de crise. Dat ass iwwerdriwwen an eng Ënnerdréckung vum Vollek. Regierung sollt hier Arroganz erëm astellen, an hier Aarbecht maachen. Well des läscht sinn aussoen gefall déi een net gutt heeschen kann. Wann een ze vill well, dann kann dat liicht ausaarten, wéi zum Beispill a Spunien, Italien

HTK
4. November 2020 - 12.24

Wenn's brennt sollte eine Regierung sofort handeln können.Später kann man immer noch endlose Diskussionen führen wenn keine Menschen mehr in Gefahr sind. Mit Diktatur hat das nichts zu tun.