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Porträt„Sie werden uns nicht aufhalten können“: Mit Brooklyn-Akzent und linker Politik will Bernie Sanders US-Präsident werden

Porträt / „Sie werden uns nicht aufhalten können“: Mit Brooklyn-Akzent und linker Politik will Bernie Sanders US-Präsident werden
Keiner begeistert die Massen zurzeit so wie Bernie Sanders – Amerika fragt sich nun, ob der Alt-Linke ein möglicher Präsident sein könnte  Foto: AFP/Eric Baradat

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In den USA steigt die Spannung. Die große Frage, wer von den Demokraten im Herbst gegen Donald Trump antreten wird, wird am Dienstag mindestens zum Teil beantwortet. An diesem Super Tuesday finden in 14 Bundesstaaten Vorwahlen statt. Der Favorit heißt mittlerweile Bernie Sanders. Dabei lag der Alt-Linke noch vor wenigen Monaten fast hoffnungslos im Hintertreffen. Dass dem jetzt nicht mehr so ist, stellt auch die Demokraten vor ein Problem – Sanders, der Unabhängige, wird ihnen nie ganz geheuer sein können. 

„Man kann nicht alles gewinnen.“ Bernie Sanders scheint nach der Vorwahl in South Carolina und kurz vor diesem wohl richtungsweisenden Dienstag, in dem in gleich 14 Bundesstaaten Vorwahlen stattfinden, nicht wirklich besorgt, als er zu seinen Anhängern spricht. Dabei setzte es für den Hoffnungsträger der amerikanischen Linken gerade den ersten Dämpfer. Joe Biden, sein größter Konkurrent um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten, gewann mit klarem Vorsprung. Doch Sanders kennt natürlich die Vorhersagen. Die sehen keine Trendwende zugunsten Bidens, sondern den Senator aus Vermont in den bevölkerungsreichen Staaten Kalifornien und Texas uneinholbar vorne. Die Stunde des Außenseiters, sie könnte geschlagen haben. „Und jetzt“, ruft Sanders, „jetzt nehmen wir den ‹Super Tuesday› in Angriff.“

Außenseiter. Es ist auch die Eigenbezeichnung jenes Mannes (und Teil des Titels seiner Autobiografie), der 1941 in eine Familie der unteren Mittelklasse in New York geboren wurde und der seinen Brooklyner Akzent noch immer pflegt. Sanders studierte in den 1960ern in Chicago Politikwissenschaft und Psychologie und war Teil der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung jener Tage, er demonstrierte gegen Rassentrennung und Diskriminierung, wurde deswegen auch einmal verhaftet. Sanders lebte während dieser Zeit auch für sechs Monate in einem Kibbuz, was, wie er sagt, seine Art des Sozialismus mitprägte. Wenig später folgten Sanders und seine Frau wie viele Hippies der damaligen Zeit dem Ruf der grünen Berge Vermonts und kauften sich dort dank einer kleinen Erbschaft ein Haus.

Der kleine, eigentlich republikanisch geprägte Bundesstaat Vermont und der linke Sanders harmonierten erstaunlich gut. Als unabhängiger Kandidat schaffte es Sanders 1981, Bürgermeister von Burlington zu werden, der größten Stadt Vermonts. Sein Vorgehen damals unterscheidet sich nicht großartig von seinem Vorgehen heute. Sanders war immer ein Vertreter der Graswurzelpolitik, Bottom up, von unten nach oben, alle sollen mitreden, mit entscheiden, mit Politik machen – doch vor allem: alle und nicht nur die Reichen sollen wichtig sein. Die Menschen aus Burlington, das heutzutage, umweltfreundlich und lebenswert, mit geringer Arbeitslosigkeit und hoher Wirtschaftskraft, gerne als Musterstadt bezeichnet wird, liebten Sanders. Dreimal wurde er wiedergewählt. Dann liebte ihn Vermont: Seit 1990 vertritt er den Bundesstaat in Washington, sechsmal bestätigten ihn seine Wähler, seit 2006 ist er der Senator für Vermont. All das als Unabhängiger, das hatte zuvor keiner geschafft.

Graswurzelpolitik und Pragmatismus

Sanders’ Erfolg ruht wohl auf zwei Pfeilern. Seiner Graswurzelpolitik und allem, was damit einhergeht, dabei besonders dem Diskutieren und Debattieren, egal mit wem, egal wie lange. Als Unabhängiger war er stets darauf angewiesen, Andersdenkende zusammenzubringen, Koalitionen zu schmieden und Kompromisse zu finden. Und dann seinem Pragmatismus. Als Bürgermeister brachte er auf der Suche nach Lösungen alle möglichen Gruppen an einen Tisch. Sanders ist gegen automatische Waffen, sieht in Jagdgewehren aber kein Problem. Was ihm auch die Unterstützung der National Rifle Association einbrachte, die ihn bei seiner ersten Wahl in den Kongress unterstützte. Sanders ist ebenso entschiedener Kriegsgegner wie Kämpfer für die Rechte von Kriegsveteranen. Die Interessen seines Bundesstaates hat er in Washington immer verteidigt.

Den meisten Amerikanern ist Sanders’ pragmatischer Zugang und sein Wille zur Lösungsfindung bekannt. Der 78-Jährige gilt zwar als sturer alter Linker, aber seine Version des Sozialismus hat für viele ihren Schrecken verloren. Vielleicht hat der amerikanische Kapitalismus aber auch nur zu viele von seinen Schrecken preisgegeben. Als Bürgermeister organisierte Sanders Busfahrten nach Kanada. Dort kosteten Krebsmedikamente nur ein Zehntel des US-Preises. Die Zeiten für Kranke haben sich in den USA auch in der Zwischenzeit nicht gebessert. Eine Krankenversicherung für alle ist heute noch Sanders größtes Versprechen – und für immer mehr Amerikaner wird sie zum größten Wunsch.

Sanders mag Kompromisse schmieden, in seinen Hauptanliegen bleibt er konsequent. Seit Jahren treibt er in stets leicht zu locker sitzenden Anzügen seine soziale, ökologische und wirtschaftliche Revolution voran. Davon hat ihn auch ein erster gescheiterter Versuch vor vier Jahren nicht abhalten können, als ihn vor allem das demokratische Partei-Establishment in die Knie zwang und – zu dem Zeitpunkt noch siegestrunken – Hillary Clinton ins Rennen gegen Donald Trump schickte, von dem schon damals jeder wusste, was für ein Clown er ist, nur dass noch kaum einer annahm, dass ein solcher Clown auch gewählt würde.

Überraschenderweise scheinen die Demokraten auch vier Jahre später erneut auf dem falschen Fuß erwischt worden zu sein. Derselbe, weiterhin als Hinterbänkler wahrgenommene Alt-Linke Sanders dominiert das Kandidatenrennen auch aufgrund seiner nicht wirklich vereinnahmenden Konkurrenz. Was die Schwäche der Demokraten bloßlegt, in vier Jahren Trump keine parteiübergreifende Antwort auf den republikanischen Rumpelpräsidenten gefunden zu haben.

Reiche Konkurrenz und unerwartete Feinde

So sieht sich Sanders jetzt in der für ihn eher komfortablen Situation, erst demokratische Superreiche aus dem politischen Weg räumen zu müssen, um es dann vielleicht im Ringen um die Gunst der amerikanischen Wähler mit einem republikanischen Superreichen aufnehmen zu können. Den Demokraten, denen Sanders zu links ist, bleibt nicht viel anderes als die erstaunte Zuschauerrolle dabei, wie der selbsternannte „demokratische Sozialist“ die Massen begeistert wie sonst kein anderer in ihrem Lager. Dass der Milliardär Michael Bloomberg, der die ersten Vorwahlen ausließ und erst an diesem Dienstag ins Rennen einsteigt, sich noch zu einem ernstzunehmenden Gegner für Sanders heraufschwingen könnte, glaubt kaum einer. Womit als einziger Konkurrent nur Joe Biden bliebe, der aber bereits jetzt als angeknackst gilt.

Sanders, in den viele ihre Hoffnungen auf ein besseres, auf ein anderes Amerika legen, muss aber noch einige Steine aus seinem Weg räumen. Große Zeitungen wie die New York Times und die Washington Post, die sich seit Jahren an der Person und der Politik des momentanen US-Präsidenten abarbeiten, haben nur wenig für Sanders übrig, der sich auch von liberalen TV-Sendern wie MSNBC unfair behandelt sieht. Bei jemandem wie Sanders, der seit den 1960ern mit linker Politik und auch Agitation verwoben ist, fällt die Suche nach politischen Jugendsünden, die sich jetzt zur Dämonisierung ausschlachten ließen, nicht sonderlich schwer. Doch eine Hochzeitsreise damals nach Moskau, öffentlich geäußerte Sympathien für Fidel Castro oder den frühen Hugo Chavez verlieren Jahre später und nach zu häufiger Wiederholung  ihren Schockeffekt.

Sanders scheint aufgrund seiner Anhängerschaft inzwischen so gefestigt, dass sich bei den Demokraten nunmehr die Frage stellt, wer hier wen mehr vergraulen könnte – Sanders die politische Mitte oder Biden die Sanders-Anhänger. Auf dem Weg ins Weiße Haus könnte diese Frage noch von zentraler Bedeutung werden. „Bernie or die“, heißt es gerne bei Sanders-Anhängern. Bernie oder keiner. Was die Demokraten um ihre Stimmen bangen lässt, sollte sich ein anderer Kandidat als Sanders durchsetzen – dem jene, die nur auf Sanders setzen, dann ihre Gefolgschaft verweigern könnten. Ein solches Wahlverhalten war bereits 2016 zu beobachten. Bei weitem nicht jeder, der für Sanders gestimmt hätte, setzte sein Kreuz am Ende hinter Clintons Name. Viele gingen damals einfach nicht wählen.

Bislang scheint nur eines sicher: Dass die Demokraten mit einem Mann in das Duell gegen Trump ziehen; alle weiblichen Konkurrenten liegen weit hinter Sanders und Biden. Sollte die Wahl auf Sanders fallen, wird es ein Wahlkampf um das Weiße Haus zwischen zwei Anti-Establishment-Politikern geben: Trump gegen Sanders, die Rollen blieben trotzdem klar verteilt. Trump allerdings hat den Vorteil, das, was einmal die republikanische Partei war, längst in eine Ansammlung bedingungsloser Anbeter seiner selbst verwandelt zu haben.

Sanders hingegen wird wohl bis zum Schluss auch gegen die Parteigranden der Demokraten anzukämpfen haben. Und denen könnte noch große Bedeutung zukommen. Ergeben die Vorwahlen keinen eindeutigen Kandidaten, worauf Hochrechnungen zurzeit hindeuten, muss ein Parteitag über die Kandidaten entscheiden. Sanders aber ist weiterhin auf Konfrontationskurs, in viele Richtungen. Vor der Wahl in Nevada richtete Sanders eine Warnung auf Twitter an beide, Republikaner wie Demokraten. „Ich habe News für das Establishment der Republikaner und ich habe News für das demokratische Establishment“, twitterte Sanders. „Sie werden uns nicht aufhalten können.“