Es war ein kühler Januar-Abend im Jahr 2010. Damals war ich noch Mitglied der Lokalredaktion, aber eben auch begeisterter Fußballfan. Mein Herz schlug seit Kindesbeinen für den Verein aus meiner Heimatstadt – den CS Petingen. Für die Jüngeren unter uns: So hieß einer der beiden Vorgängervereine der Union Titus Petingen. An diesem Januar-Abend sah ich mir ein Testspiel meines Vereins an. Den Gegner kenne ich natürlich nicht mehr – ein solcher Fußballnerd bin ich dann doch nicht. An einen Moment erinnere ich mich aber noch ganz genau. Irgendwann in der zweiten Halbzeit wurde ein kleiner, 16-jähriger Junge eingewechselt, der mich an Justin Bieber erinnerte. Ich schaute genauer hin und wurde nicht enttäuscht. Bei seinem ersten Ballkontakt schickte er einen Petinger Stürmer mit einem präzisen Pass aus 40 Metern in die Tiefe. „Nicht schlecht, Herr Bieber“, dachte ich mir. Nach Spielende stellte sich heraus, dass es sich bei diesem Grünschnabel um Sébastien Thill handelte.
Es folgten ein schneller Durchbruch und lange Jahre in Niederkorn als einer der besten Mittelfeldspieler der der BGL Ligue. Der Sprung zum Profi sollte Thill nicht gelingen. Es scheiterte nicht am Talent, sondern eher an den Lorbeeren, auf denen sich der Linksfuß ausruhte. Berufsfußballer wurde er dann doch noch. Nach ein paar starken Auftritten in der Europa League verpflichtete der russische Erstligist FK Tambow den Luxemburger. Der Wechsel, der sein Leben veränderte, folgte jedoch im Januar 2021, fast genau elf Jahre nach seinem 40-Meter-Pass in Petingen. Thill schloss sich Sheriff Tiraspol an und qualifizierte sich im vergangenen Sommer für die Gruppenphase der Champions League. Ein Traum wurde wahr.
Was danach folgte, hätte jedoch keiner erahnen können. Am 28. September besiegte der moldawische Underdog durch ein Traumtor von Thill in der 89. Minute die „Königlichen“ von Real Madrid. A star was born. Danach war der Luxemburger während Wochen in aller Munde. Es gibt fast keinen Fußballfan in Europa, der dieses Tor nicht gesehen hat. Erstaunlicher war die Reaktion von Sébastien Thill. Mit einer unglaublichen Ruhe gab er in den Tagen danach eine riesige Anzahl an Interviews und wurde zum bekanntesten Gesicht des Luxemburger Fußballs im Jahr 2021.
Und einen persönlichen Nebeneffekt hat diese Story auch noch. Da meine zukünftige Ehefrau aus Moldawien kommt, habe ich bei den Freunden aus ihrer Heimat auf einmal eine sportliche Daseinsberechtigung. Und das, obwohl dort keiner Transnistrien und dessen Vorzeigeklub Sheriff mag. Das zeigt wieder einmal, wie schnell Fußball – zumindest für einen Moment – alles verändern kann.
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