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Österreichs Altpräsident Fischer über Populisten, Europa und Asselborn

Österreichs Altpräsident Fischer über Populisten, Europa und Asselborn
„Weil es das Gesetz der Demokratie ist“: Heinz Fischer, hier mit Ban Ki-moon, dessen „Ban Ki-moon Centre for Global Citizens“ der österreichische Altbundespräsident stellvertretend vorsitzt

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Die Österreicher haben ihn geliebt. Wegen seiner ruhigen Art. Wegen seiner typisch österreichischen Herzlichkeit. Zweimal wurde Heinz Fischer zum Bundespräsidenten gewählt. 2016 trat der Sozialdemokrat aus der aktiven Politik zurück, und in Österreich fingen die Turbulenzen an. Erst folgte ein ruppig geführter Präsidentschaftswahlkampf, dann eine neue Regierung mit rechtsextremer Beteiligung. Ein Gespräch über sein Land, Europa, die Sozialdemokratie – und über Jean Asselborn.

Tageblatt: Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn hat kürzlich im österreichischen Nachrichtenmagazin «Profil» heftige Kritik an Österreich und seiner Ratspräsidentschaft geübt. Können Sie das nachvollziehen? Und was macht das mit Ihnen als ehemaligen Bundespräsidenten, wenn Ihr Land international derart in der Kritik steht?
Heinz Fischer: Europa ist für mich eine große Familie und man darf in einer Familie auch Dinge aussprechen, die Kritik beinhalten. Ich betrachte Jean Asselborn als einen Freund mit großer Erfahrung und daher bin ich auch bereit, seine Kritik ernst zu nehmen. Aber es gibt auch viele Dinge, die von Österreich gut gemacht werden und in die richtige Richtung laufen. Ich bin ein Anhänger einer liberalen pluralistischen Demokratie. Daher: Dort, wo etwas nicht so erfreulich ist, wie zum Beispiel die plötzlich negative österreichische Haltung zum UN-Migrationspakt, muss man mit Kritik rechnen.

Es gibt Menschen, die sorgen sich genau darum – dass Österreich von dieser Linie abkommen und in Richtung Ungarn oder Polen tendieren könnte. Teilen Sie diese Einschätzung?
Man muss genau hinschauen. Dann wird sichtbar, dass immer noch viele Unterschiede zwischen Österreich und Ungarn feststellbar sind. Es wäre ungerecht, so zu tun, als wäre der Druck auf den Rechtsstaat in Österreich und in Ungarn vergleichbar. Was mir Sorge macht, ist etwas anderes: Dass es in weiten Teilen der Europäischen Union ein Aufleben des Nationalismus und eines nationalistischen Egoismus gibt. Dass die gefährlichen Worte «America first» von Donald Trump in Europa in immer mehr Staaten einen gewissen Widerhall finden. Dass die Willensbildung in den Gremien der Europäischen Union schwieriger wird; das zeigt sich jetzt auch bei den Budgetverhandlungen. Weil man nicht mehr denkt, geht es Europa gut, dann geht es auch allen Mitgliedstaaten gut. Immer mehr setzt sich eine Tendenz durch, die sagt: Hauptsache, mein Land sammelt möglichst viele Vorteile, selbst wenn es zulasten anderer europäischer Länder geht. Diese Tendenz halte ich für gefährlich, damit müssen wir uns auseinandersetzen.

Wie sollte es denn heißen?
Die richtige Sicht der Dinge ist, den Europagedanken auch weiterhin zu stützen, indem wir sagen: Wir wollen, dass Europa gut funktioniert, auch wenn wir dazu Beiträge leisten müssen, die uns nicht leichtfallen. Dann strahlt das in seiner Summe eine positive Entwicklung des europäischen Kontinents aus, die allen Europäern zugutekommt.

Das ist aber eine Idee, die kaum mehr zu vermitteln ist. Wahlen werden mit anderer Sprache gewonnen …
Ich frage mich – und habe noch keine perfekten Antworten –, aber ich frage mich, ob der Schreck und der Schock und die Dramatik des Zweiten Weltkrieges und des Nationalsozialismus so groß waren, dass die nachfolgenden Generationen erkannt haben, wir müssen Europa neu denken und neu in Angriff nehmen. Was uns sehr weit gebracht hat. Doch jetzt könnten wir an dem Punkt sein, wo das Neudenken Europas immer weniger Zustimmung findet und wo man immer mehr auf nationaler Ebene agiert. Manche glauben, dass noch kleinere Einheiten, die regionale Ebene, die Zukunft Europas sind. Ich bin sehr für eine Zusammenarbeit der Regionen. Ich beobachte mit Freude, wie Südtirol, Westösterreich und Bayern eine exzellente regionale Zusammenarbeit praktizieren. Aber das ersetzt nicht die Zusammenarbeit auf der Staatenebene. Und genau da gibt es immer weniger Bereitschaft, den europäischen Gedanken zu unterstützen, und immer mehr versuchen, die nationalen und nationalistischen Interessen ins Trockene zu bringen.

Das hieße, der Schrecken, egal wie gewaltig er sein möge, hält nur 70, 80 Jahre?
Darüber habe ich auch mit Jean Asselborn oft diskutiert. In der Geschichte gibt es Beispiele dafür, dass große, wichtige Ideen nach etwa zwei Generationen, nach etwa 70 Jahren, einer Erneuerung bedürfen. Von 1848, der Revolution, dem Aufbruch in das bürgerliche, industrielle Europa, waren es genau 70 Jahre bis 1918. Von der Gründung der Sowjetunion 1919, 1920 bis zu ihrem Zusammenbruch waren es genau 70 Jahre. Und es ist auch ein Faktum, dass es von 1945 bis heute 73 Jahre sind. Man soll keinen Zahlenfetischismus betreiben, aber große Ideen haben nach 70 Jahren viele ihrer ursprünglichen Antriebskräfte eingebüßt und bedürfen eines neuen Anstoßes.

Dieser Anstoß wird aber bisweilen vermisst. Oder sehen Sie da Ideen?
Ich könnte mir schon vorstellen, dass der Druck, der heute von Trump ausgeht, die Tatsache, dass der Einfluss Chinas immer größer wird, dass auch aus der arabischen Welt sehr massive Einwirkungen in Richtung Europa vorhanden sind, zu einem neuen europäischen Bewusstsein, zu einer verstärkten europäischen Gesinnung führen kann. Wenn das nicht der Fall ist, wenn wir uns nicht zu einer neuen Stärkung der europäischen Idee aufraffen, kann es sein, dass der Brexit ein erster Schritt ist, dem weitere Schritte folgen. Wir wissen nicht, wie Italien sich in seinem Konflikt mit der EU-Kommission verhalten wird … Das sind alles Warnsignale. Und auf diese müssen die europäisch gesinnten Menschen mit einem verstärkten Bekenntnis zur europäischen Idee reagieren.

Nun verspüren aber auch europäisch gesinnte Menschen häufige Enttäuschung, wenn sie an die EU denken. Sie vermissen das soziale Element in Europa, finden, dass Europa eine neoliberale Politik macht. Muss nicht auch in der EU insoweit umgedacht wird, dass man wieder die Menschen und nicht nur die Wirtschaft für sich begeistern kann?
Wenn ich von einer neuen europäischen Idee spreche, meine ich schon, dass auch die Sackgassen, in denen wir uns auf wirtschaftlichem Gebiet teilweise befinden, dass wir da Sauerstoff hineinbringen müssten, dass man neue Wege gehen muss. Die Einkommens- und Vermögensverteilung ist ein nicht zufriedenstellend gelöstes Problem, die Balance zwischen Erweiterung und Vertiefung ist noch nicht gefunden und die Überwindung der Unterschiede zwischen Nord- und Südeuropa ist auch eine Aufgabe, die noch nicht erfüllt ist, obwohl die EU lange Zeit daran arbeitet. Vor 20 Jahren hätte ich die EU als eine etablierte und irreversible Konstellation empfunden. Heute merke ich, dass es mit der EU so ähnlich steht wie mit der Demokratie. Sie ist stark, sie hat feste Wurzeln – aber sie ist nicht unzerstörbar. In beiden Fällen gibt es Kräfte, die der Demokratie schädlich sind, und Kräfte, die er EU schädlich sind.

Der nächste wichtige Termin steht vor der Tür. Im kommenden Frühling sind Europawahlen, bei denen die populistischen Kräfte wohl Auftrieb bekommen werden. Im Moment sieht es aus, als müssten sich die Europäer zwischen einem rechten Populismus und einem ausgeprägten Liberalismus à la Macron entscheiden. Die Sozialdemokratie scheint da nicht mehr im Kampf der Ideen stattzufinden. Kann sie sich noch behaupten?
Ich rate, die Sozialdemokratie nicht voreilig abzuschreiben. Ich sehe zwei Denkweisen. Die eine ist, dass die sozialdemokratische Bewegung in Europa ihre stärkste Phase hinter sich hat. Sie wird weiterhin ein wichtiger Faktor sein, aber die Zeit von Willy Brandt und Bruno Kreisky und Olof Palme und anderen war ein kaum wiederholbarer Kulminationspunkt. Die zweite Betrachtungsweise, der ich anhänge und auf die ich hoffe, ist, dass die Geschichte immer einen wellenförmigen Verlauf nimmt und man auch in der Vergangenheit gesehen hat, dass das politische Pendel immer von links nach rechts und wieder zurück schwingt.

Was lässt Sie darauf hoffen?
Weil dies das Gesetz der Demokratie ist. Weil die Kräfte, die stark und in der Regierung sind, einem verstärkten Abnutzungsprozess unterliegen und das Pendel dann wieder in die andere Richtung schwingt. Es ist eines der Grundprinzipien der Demokratie, dass ein friedlicher Machtwechsel möglich ist, dass politische Ideen abwechselnd auf die Bühne treten und dann wieder ein Stück zurücktreten. Dieser Pendelprozess stärkt jetzt die nationaleren, konservativeren, sozial weniger sensiblen Kräfte, aber wir haben Grund, darauf zu vertrauen, dass das Pendel dort nicht stecken bleibt. Unsere Aufgabe wird sein, das Zurückschwingen des Pendels zu ermöglichen und zu beschleunigen. Wenn die National-Konservativen spüren, dass ihre Macht zurückgeht, haben sie in der Geschichte oft versucht, unter Verletzung der Demokratie ihre Macht zu erhalten. Aber in einem demokratischen Europa wird das nicht so leicht sein und das Pendel wird auch wieder in die andere Richtung schwingen.

In zwei Ländern, Ungarn und Polen, wird aber genau das versucht: das Pendel nicht zurückschwingen zu lassen.
In Österreich ist mit der FPÖ eine rechtsextreme Partei an der Regierung beteiligt. Die gesamte Regierung legt ihren Fokus auf Migrationsthemen. Kritiker sagen, so würde von sozialen Einschnitten abgelenkt. Demnach: Ist Österreichs Regierung eine populistische, wenn sie so handelt?
Man kann eine Regierung, ob es jetzt eine linke oder eine rechte ist, nicht ohne Weiteres mit einem Wort beschreiben. Dass es in dieser Regierung eine gehörige Portion Populismus gibt, das steht für mich fest. Aber es steht auch etwas Zweites für mich fest: In Österreich ist die Demokratie so weit verankert, dass eine Regierung durch ein Wahlergebnis selbstverständlich gezwungen werden kann, Macht abzugeben und einer anderen politischen Richtung die Macht zu übergeben. Dass das in Österreich funktioniert, das haben wir schon bewiesen. Indes gibt es einen breiten Konsens, dass das so bleiben muss. Ich kann mir das Österreich der Zukunft nicht anders vorstellen als als ein demokratisches Land. Und dort, wo es Fehler oder Fehlentwicklungen gibt, muss es Korrekturen geben.


Zur Person

Heinz Fischer, 1938 geboren, war von 2004 bis 2016 Bundespräsident der Republik Österreich. Davor war er Wissenschaftsminister und Nationalratsabgeordneter der SPÖ sowie Präsident beziehungsweise Zweiter Präsident des österreichischen Nationalrates. Fischer ist Autor zahlreicher Bücher. Das Tageblatt traf ihn vergangene Woche in Wien in seinen Büros des „Ban Ki-moon Centre for Global Citizens“.