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Mehr oder weniger legal: Profis bereiten sich auf große Rundfahrten vor

Mehr oder weniger legal: Profis bereiten sich auf große Rundfahrten vor

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Am Samstag beginnt mit der Vuelta a España die letzte große Rundfahrt der Radsportsaison. Seit Kurzem sind es nicht mehr unbedingt die ausgewiesenen Bergfahrer, die die Rennen über drei Wochen dominieren. Ein Trend, den Experten teilweise kritisch betrachten, wenngleich es mittlerweile auch möglich ist, sauber mitzuhalten. Wenigstens teilweise.

«Ja, Bradley Wiggins, das ist definitiv ein Beispiel, dem ich folgen sollte.» Der Meinung war der diesjährige Tour-de-France-Sieger Geraint Thomas bereits 2006 nach seinem Gesamtsieg bei der Flèche du Sud. Sein Landsmann Wiggins hatte das luxemburgische Etappenrennen 2001 gewonnen. 2012 stand «Wiggo» dann ganz oben auf dem Podium der Champs-Elysées, «G» folgte sechs Jahre später.

Dabei feierten beide ihre ersten Erfolge auf der Bahn, wurden gemeinsam Weltmeister und Olympiasieger in der Mannschaftsverfolgung. Bis zum Sieg bei der Tour de France war es ein langer Weg. Erst mussten sie – genau wie ihr Teamkollege bei Sky, der viermalige Toursieger Chris Froome – einige Kilo an Körpergewicht loswerden. Es gibt Sportarten, in denen es auf jedes Gramm ankommt, und der Radsport gehört – jedenfalls was die großen Rundfahrten angeht – auch dazu. «Wenn es darum geht, Steigungen ab fünf oder sechs Prozent hochzufahren, dann fängt das Körpergewicht an, eine wichtige Rolle zu spielen», sagt der Sportmediziner Axel Urhausen.

Die Leistungsfähigkeit der Radsportler wird in Watt pro Kilogramm Körpergewicht gemessen. Einfach ausgedrückt: Wer möglichst viele Watt bei möglichst geringem Körpergewicht auf die Pedale bringt, der fährt schnell berghoch. Bahnradsportler wie Wiggins und Thomas verfügen zwar über viel Kraft, doch um die Berge der Alpen oder Pyrenäen hochzukommen, müssen sie erst Ballast abwerfen. Ob sie die überflüssigen Kilos immer so ganz auf legale Weise loswerden, daran zweifeln einige Experten.

So zum Beispiel Antoine Vayer (Foto). Der französische Sportprofessor war von 1995 bis 1998 Trainer beim Skandal-Team Festina und hat sich mittlerweile einen Ruf als Anti-Doping-Kämpfer gemacht, unter anderem durch seine Chronik in der Tageszeitung Le Monde. «Heute wird vor allem während der Vorbereitung gedopt. Neben Höhentrainingslagern noch ein paar Kortikoide, ein bisschen Insulin und Wachstumshormone und schon wird das Idealgewicht erreicht, ohne dabei an Muskelkraft zu verlieren.» Somit würden Fahrer eines Kalibers wie Thomas, Wiggins oder Froome ein Gewicht/Kraft-Verhältnis entwickeln, dem andere nur wenig entgegenzusetzen haben. Während Dr. Urhausen den Sky-Rennstall ebenfalls kritisch sieht, so ist er aber der Meinung, dass dieser Gewichtsverlust auch auf legale Weise möglich ist. «Das ist ein Prozess, der über mehrere Jahre geht. Da ist alles bis ins kleinste Detail geplant. Es wird mit Ernährungsberatern zusammengearbeitet und genau geschaut, wie viel man abnehmen kann, ohne an Kraft zu verlieren.»

«Enorme Wirkung»

Dass dieser Prozess mit Medikamenten beschleunigt werden kann, steht auch für den Sportmediziner außer Frage. aber auch Schilddrüsenhormone, die aktuell auch nicht auf der Verbotsliste stehen. Obwohl Kortison ein sehr effizientes Dopingmittel sein kann, bezweifelt Urhausen (Foto) allerdings, dass es beim Abnehmen ohne Kraftverlust helfen soll. «Mir ist keine Studie bekannt, die Kortison in diesem Zusammenhang erwähnt. In der Regel führt Kortison eher zu einer Gewichtszunahme. Kombiniert man die Einnahme mit sportlicher Betätigung, bleibt das Körpergewicht zwar unverändert, aber dann hat man immer noch nicht abgenommen.» Außerdem gibt Urhausen zu bedenken, dass Kortison die Körperzusammensetzung beeinflusst. In der Regel werde die Muskelmasse reduziert und die Fettmasse erhöht. «Aus diesem Grund sehe ich kein Interesse darin, Kortison in diesem Zusammenhang zu missbrauchen.»

Ein ehemaliger Radprofi hat dem Tageblatt allerdings erklärt, dass er die Erfahrung gemacht habe, dass Kortikoide auch bei diesem Prozess durchaus effizient seien. «Kortikoide haben eine enorme Wirkung und sind daher sehr beliebt», so der ehemalige Tour-de-France-Teilnehmer. In einem Sport, in dem es mittlerweile auf jede Sekunde und jedes Gramm ankommt, ist das Risiko groß, dass Sportler sich zumindest in einer Grauzone bewegen, um ihre Ziele zu erreichen. Bei Sky gab es eine ganze Reihe an medizinischen Ausnahmegenehmigungen, sogenannte TUEs («therapeutic use exemptions»). Diese stoßen auch dem Mediziner sauer auf. «Das ist eine Frechheit, was da teilweise berichtet wurde», so Urhausen, der als ausländischer Experte Mitglied in der TUE-Kommission der deutschen Anti-Doping-Agentur ist. Vor allem von Sky zeigt sich Urhausen sehr enttäuscht. «Dieser Rennstall hat bei seiner Gründung erklärt, man wolle eine Vorreiterrolle als saubere Mannschaft einnehmen, und dann engagiert man dennoch zwielichtige Betreuer und Ärzte, die bereits mit Doping in Verbindung gebracht wurden.»

«Radsport verliert den Charme»

Für Vayer ist klar, dass Sky ein nahezu perfektes System aufgebaut hat. «Die überlassen nichts dem Zufall.» Dem Franzosen zufolge wurde durch diese Entwicklung dem Radsport der Charme genommen. «Den Fans wurden ihre Anhaltspunkte genommen. Es ist nicht mehr so, dass man einen talentierten Nachwuchsfahrer sieht und sich sagen kann, dass der einmal die Tour gewinnen wird.»

Auch Bob Jungels hat sich zum Ziel gesetzt, bei der Tour ganz vorne mitzufahren. Auch er war zu Beginn seiner Profikarriere eher ein kraftvoller Zeitfahrer und musste erst einmal ein paar Kilogramm abnehmen. Bei der vergangenen Tour de France brachte der 25-Jährige erstmals weniger als 70 Kilogramm auf die Waage. Für Urhausen ist der Gewichtsverlust alleine aber kein Grund, die Leistungen infrage zu stellen. «Der Gewichtsverlust ist ein Prozess über mehrere Jahre und ist sicherlich auf natürliche Weise möglich. Im Profisport wird da nichts dem Zufall überlassen. Es ist aber auch so, dass man während des Prozesses des Abnehmens weniger leistungsfähig ist.»

Und wie sieht Antoine Vayer, einer der größten Kritiker des Radsports, die Leistung von Bob Jungels? Der Franzose antwortet in seiner gewohnt sarkastischen Art: «Welchen Platz belegte Jungels noch mal? Den elften? Dann weiß er nicht, wie es geht. Ich habe gehört, dass man in Luxemburg ziemlich gut verdient. Gib Jungels meine Kontaktdaten, ich kann ihn vorbereiten, dann fährt er auch ganz vorne mit.» Dann wird Vayer sogleich wieder ernst: «Es ist heute durchaus möglich, die Tour sauber zu bestreiten, wenngleich ganz vorne doch noch immer mehr oder weniger getrickst wird. Ich hoffe nur, dass die Fahrer, die zuletzt abgehängt wurden und nicht ganz vorne mitfahren konnten, nicht damit beginnen, auch zu tricksen. Sie sollen einfach reden und erklären, was im Radsport heutzutage noch schiefläuft. Das ist sicherlich die beste Lösung für alle.»