Ende Juni hatte Colin Heiderscheid für eine faustdicke Überraschung gesorgt: Nicht etwa Bob Jungels oder Kevin Geniets, sondern der 24-jährige Fahrer vom luxemburgischen Kontinental-Team Leopard sicherte sich in Nospelt den Meistertitel im Straßenrennen. Seit etwas mehr als sechs Wochen ist der Sprintspezialist somit im begehrten Rot-Weiß-Blau-Trikot unterwegs: „Gefühlt ist es einfacher, doch das ist es wirklich nicht“, gibt Heiderscheid lachend zu. „Dennoch habe ich gemerkt, dass man bei Rennen schon mehr Respekt erfährt, als wenn man mit dem Leopard-Trikot unterwegs ist.“ Denn normalerweise sind die Leopard-Fahrer bei Rennen der Kategorie 1.1 meistens eine der kleineren Mannschaften; bei solchen Rennen sticht das Trikot eines Landesmeisters dann doch deutlich heraus: „Wenn es hektischer wird und man drückt ein wenig, dann regt sich keiner mehr wirklich auf“, beschreibt der 24-Jährige die neue Erfahrung auf den internationalen Radsportstraßen. Für einen Sprintspezialisten gar nicht einmal so schlecht.
Seit seinem Überraschungscoup hat der junge Radsportler mit Leopard drei Eintagesrennen bestritten, darunter Ende Juli ein 1.2-Rennen in Frankreich und in der letzten Woche eines der Kategorie 1.1 im belgischen Leuven. Dabei sprangen für Heiderscheid die Plätze 15. und 18. heraus. „In Belgien hat es nicht ganz gereicht, in der ersten Gruppe zu bleiben, doch ich habe den Sprint der zweiten Gruppe gewonnen. Deshalb war ich schon ganz zufrieden, weil wir in dieser Saison bisher nur wenige so große Rennen bestritten haben.“ Da während der Zeit der Tour de France traditionell nur wenige Wettbewerbe auf dem Programm stehen, nutzte auch der Landesmeister die Chance, eine kleine Pause einzulegen, um mit neuem Elan in den zweiten Saisonblock starten zu können. Da kommt die EM in München, die für Heiderscheid überhaupt die erste bei den Seniors ist, nun ganz gelegen. „Für mich hat sie einen enorm hohen Stellenwert. Denn nicht jedes Jahr hat man die Chance, dass der Parcours einem so entgegenkommt wie der in München. Von daher ist es für mich eines der wichtigsten Rennen in dieser Saison.“
Erste EM bei der Elite
Respekt hat Heiderscheid vor allem vor der Distanz, denn das Rennen, das in Murnau am Staffelsee startet, geht über 209,4 Kilometer. Zu bestreiten sind allerdings nur zwei Anstiege, einer zu Beginn des Rennens und ein weiterer 115 Kilometer vor dem Ziel, wo der ein Kilometer lange Schlossberg in Eurasburg wartet, mit einem durchschnittlichen Anstiegsprofil von zehn Prozent. Danach geht es Richtung München, wo in der Innenstadt noch einmal fünf Runden (insgesamt 65 Kilometer) gefahren werden und der neue Europameister schließlich am Odeonsplatz gekürt wird. Dass sich die Entscheidung im Sprint abspielen wird, davon geht auch der Leopard-Fahrer aus.
An seiner Seite hat Heiderscheid mit Leopard-Teamkollege Cédric Pries nur einen weiteren Fahrer, obwohl die Luxemburger Herren mit sechs hätte antreten können. „Wenn man sieht, dass die Tour de l’Avenir und auch die Vuelta anstehen, dann fährt man eine EM nicht einfach mal so nebenbei. Mit Cédric habe ich aber einen guten Mann an meiner Seite. Da wir ja auch fast jedes Rennen gemeinsam bestreiten, verstehen wir uns eigentlich blind.“ Dennoch ist die Konkurrenz in München alles andere als einfach, denn vor allem internationale Top-Sprinter werden bei der EM ihre Chance suchen. So wird das niederländische Team etwa von Tour-Etappensieger Fabio Jakobsen angeführt.
Dass ein solches Rennen eine ganze Karriere entscheiden kann, dessen ist sich auch Colin Heiderscheid bewusst; der Luxemburger konnte auch bereits bei U23-Europameisterschaften auf sich aufmerksam machen, so etwa vor zwei Jahen in Plouay, wo er den achten Platz erreichte. Und wer weiß: Vielleicht schafft es Heiderscheid, der sich dem Luxemburger Publikum Mitte September mit seinem Meistertrikot bei der Tour de Luxembourg präsentieren dürfte, auch in München, der Saison mit einem weiteren guten Resultat seinen Stempel aufzudrücken.
Im Überblick
Das Radsport-Programm, Herren:
Sonntag, 14. August:
Ab 10.15: Straßenrennen mit Colin Heiderscheid und Cédric Pries
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