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CrépolTödliche Messerattacke auf Jugendlichen wird in Frankreich zum Politikum

Crépol / Tödliche Messerattacke auf Jugendlichen wird in Frankreich zum Politikum
Die Beerdigung von Thomas am 24. November 2023 AFP

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Ein Dorffest, eine Messerstecherei, ein Toter. Was vor zehn Tagen noch ein lokales Drama war, das die Angehörigen des 16-jährigen Thomas aus dem Dorf Crépol südlich von Lyon in tiefe Trauer stürzte, ist inzwischen zu einem nationalen Politikum in Frankreich geworden. Politiker aller Lager interpretieren die Gewalttat als Symbol einer gesellschaftlichen Entwicklung, wenn auch mit unterschiedlicher Stoßrichtung.

Am Montag zeigte sich Regierungssprecher Olivier Véran in Crépol, um den Angehörigen und Einwohnern des Ortes sein Mitgefühl auszusprechen – und zugleich politische Botschaften zu senden. «Thomas hatte das Aussehen eines Sohnes, eines Bruders, eines Freundes. (…) Seine Geschichte ist die der französischen, freien Jugend», sagte Véran. Thomas habe «die Zugehörigkeit zu seinem Dorf und zu seinem Land als ein Glück empfunden».

Der Minister wählte Formulierungen, die die Gefühle derjenigen ansprechen, die auch für die Interpretation des rechten und rechtspopulistischen Lagers offen sind: Seit Tagen wird dort vehement die These vertreten, Thomas sei ein Opfer des «Vorstadtgesocks» oder auch des «Anti-Weißen-Rassismus» geworden.

Eine gewalttätige Bande habe sich zum Dorffest begeben, «um Weiße zu töten», hieß es. «Das nächste Mal kommen sie mit automatischen Waffen», war zu hören. Auch das Wort «Frankozid» fiel, in dem mitschwingt, dass Thomas getötet wurde, weil er Franzose sei.

„Keine bloße Prügelei“

Mehrfach zogen rechtsextreme Gruppen in der nahegelegenen Stadt Romans-sur-Isère durch die Straßen, teils mit vermummten Gesichtern. Im weit entfernten nordfranzösischen Cherbourg fanden sich antimuslimische Parolen an einer Moschee, begleitet von dem Spruch «Gerechtigkeit für Thomas».

Regierungssprecher Véran zeigte sich am Montag überzeugt, dass es «keine bloße Prügelei am Ende eines Dorffestes» war. Vielmehr sei es «ein Drama, das das Risiko des Auseinanderbrechens der Gesellschaft» berge, sagte er. «Sie haben die Nase voll von gewalttätigen Banden – und wir auch», sagte er an die Einwohner von Crépol gerichtet.

Die Staatsanwaltschaft hielt sich bislang jedoch sehr zurück. Sie ermittelt gegen neun Verdächtige, unter ihnen der mutmaßliche Angreifer, der Thomas tödlich verletzt hatte. Tathergang und Motive seien «nicht abschließend geklärt». Die Staatsanwaltschaft warnte ausdrücklich vor «unbelegten Denunzierungen und voreiligen Schlüssen, die sich zahlreich unter Missachtung der Tatsachen verbreiteten».

Dies hielt jedoch das Sonntagsblatt «JDD», das seit kurzem einen rechtsextremen Chefredakteur hat, nicht davon ab, die Vornamen mehrerer Verdächtigen zu veröffentlichen – sie sind in erster Linie arabischer Herkunft. «Es geht um das immer wiederkehrende Profil der Angreifer», schreibt das Blatt dazu.

„Instrumentalisierung“

Der rechtspopulistische Politiker Laurent Jacobelli legte umgehend nach: «Die Vornamen der Angreifer entstammen der arabisch-muslimischen Einwanderung. Die anarchische Immigration führt zweifellos zu großer Gewalt», schrieb er im Onlinedienst X (früher Twitter).

Die linke Opposition prangert ihrerseits eine «politische Instrumentalisierung» der Bluttat von Crépol durch das rechte Lager an – machte aber ebenso schamlos eine andere Gewalttat zum Politikum. Ihre Anhänger verwiesen in Onlinediensten massiv auf die Tat eines Rentners, der am Freitag in der Nähe von Paris einen 29 Jahre alten Gärtner rassistisch beschimpft und ihn mit einem Teppichmesser am Hals verletzt hatte.

Der Umgang mit den beiden Gewalttaten zeigt einmal mehr, wie sehr die Stimmung im Land aufgeheizt ist. Wie es der Zufall will, wird von Montag an das neue und vom Senat erheblich verschärfte Einwanderungsgesetz im Ausschuss der Nationalversammlung beraten. Die Debatte im Plenum ist im Dezember geplant. Es ist schon jetzt absehbar, dass dabei auch das schlimme Ende des Dorffestes von Crépol eine Rolle spielen wird.