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Zwei Stämme

Zwei Stämme
(AFP)

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Zwei Seelen wohnen, ach, in ihrer Brust: Jenes aufgeklärt-humanistische Israel, das weiterhin Mitglied der „judäo-christlichen“, „westlichen“ Welt sein will, und jenes tribalistische Israel, das einfach nur nach gut nahöstlicher Sitte die Rechte seines, des stärkeren Stammes gegen jene des schwächeren, arabischen Stammes ohne Rücksicht auf völkerrechtliche Petitessen durchsetzen will.

Beide haben die Walstatt der Parlamentswahlen vom Dienstag nach einem doch eher überraschenden Unentschieden verlassen müssen.
Der Tribalist Bennett, der am liebsten die Araber der Westbank kurzerhand über den Jordan oder ersatzweise die Hinterseite des Mondes umgesiedelt sehen möchte, konnte nicht den im zivilisierteren Teil der Welt befürchteten Erfolg einfahren. Ebenso wenig vermochte Bibi Netanjahu im Verein mit dem sinistren Araberfresser Lieberman seine Dominanz über die israelische Politik zu zementieren. Auch wenn es den beiden gelang, eine relative Mehrheit zu verteidigen.
Die israelische Demokratie bleibt lebhaft und dynamisch. Das Wahlresultat strafte in der Tat etliche Vorhersagen Lüge.

Francis Wagner fwagner@tageblatt.lu

Die Folgekosten des Landraubs

Insbesondere hatten die wenigsten Pundits prophezeit, dass Yair Lapids in Maßen vielleicht doch eher linksliberale Partei „Es gibt eine Zukunft“ (fragt sich bloß für wen?) zum Zünglein an der Waage werden würde. Die meisten hatten Bennetts rechtsnationalistische Ethnoreinigungsagentur „Jüdisches Heim“ (da ist allein schon der Name Programm!) in dieser Rolle gesehen.
Lapids Formation tritt für eine Abschaffung der Privilegien der religiösen Eiferer in Sachen Wehrdienst ein (die turbofrommen Scheinheiligen sind der Ansicht, dass andere ihre Knochen für die Verteidigung des Vaterlandes hinhalten sollten, derweil ihnen selbst aufgetragen sei, tief versunken in der Lobpreisung des Herren zu verharren. Schlaue Kerlchen, fürwahr!). Ferner fordert sie, dass ein echter (was auch immer das heißen mag) Dialog mit den Palästinensern geführt werden soll.
Was nun? Es kommt ja nun nicht nur in Israel vor, dass sich infolge von Wahlen Menschen im selben Bett wiederfinden und konsequenterweise zum politischen „Intercourse“ aufgefordert sehen, die sich auf offener Straße nicht einmal die Hand reichen würden, sondern einander allerhöchstens keifend dazu auffordern würden, ihren jeweiligen Köter kürzer an der Leine zu halten.

Es gibt nun durchaus eine (schwache) Hoffnung, dass die Linke das rechtsnationalistische Lager ablösen könnte: Zwar geht es der israelischen Wirtschaft allgemein gesprochen nicht allzu schlecht, doch hat der permanente Kriegszustand, welcher die Großisrael-Politik der Rechten notwendigerweise zur Konsequenz hat, zutiefst nachteilige Konsequenzen auf den Lebensstandard der weniger wohlhabenden Israelis.

Anders ausgedrückt, die erheblichen Folgekosten der Landraub-Politik in der Westbank müssen unzählige Menschen (darunter viele Araber) im israelischen Kernland mit Sozialabbau und schleichender Verarmung bezahlen. Israel wird nun mal nicht umso reicher, desto heftiger man die Palästinenser in die Fresse haut.
Es könnte ja eventuell sein, dass diese Binsenwahrheit sogar immer mehr Israelis einleuchtet. Eventuell.