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Zur politischen Reife

Zur politischen Reife
(Tageblatt)

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Sind wir uns darin einig, lieber Leser, dass die politischen, sozialen und kulturellen Zustände nicht Folge von Naturereignissen sind, sondern von demokratischen Wahlen?

Die Wahlen sind frei; der Bürger gibt seinen Kandidaten politische Vollmacht für die Legislatur; die Regierung wird von einer parlamentarischen Mehrheit getragen, handelt also im Auftrag des Volkes.

Alvin Sold asold@tageblatt.lu

Nun lässt sich anhand zahlloser Fehlleistungen, Ungerechtigkeiten, Diskriminierungen und Missbräuche, unter denen Generationen zu leiden hatten und haben, beweisen, dass oft die Falschen gewählt wurden. Sehr oft!

Das wiederum führt zum Schluss, dass das Wahlrecht ab 18 keineswegs eine Garantie für politische Reife war und ist.
Man höre sich doch um (oder staune über das Unwissen in Website- und Social-Media-Kommentaren!), was „die Leute“ zur Politik, zum politischen Geschehen in Luxemburg, in Europa, in der Welt sagen, wie sie „dagegen“ sind, oder „dafür“, aus dem Bauch heraus, je nach Gefühlslage.

Politische Reife lässt sich nicht einfach an einem bestimmten Lebensalter festmachen. Gegenwärtig ist man formal ab 18 bis zum Lebensende politisch wahlberechtigt, aber dieses Recht wurzelt nicht in der politischen Reife. Es wurzelt in einer politischen Entscheidung: Bis 1972 hatte man noch 21 zu sein.
Neuere Forschungsarbeit zum Thema politische Reife ergab, dass sie ab dem 60. Lebensjahr leicht sinkt, was der Wiener Soziologe Schöbel (in Österreich wurde das Wahlalter bereits 2007 auf Bundesebene von 18 auf 16 Jahre herabgesetzt) auf „stärkere Ideologiebehaftung und dadurch bedingt oberflächlicher werdendes Interesse an neuen Informationen“ zurückführt. Schöbel kann aus seiner Arbeit schlussfolgern, dass „junge Menschen im Alter von 16 und 17 Jahren über durchaus mehr Reife und politisches Interesse verfügen als so manche ältere Bevölkerungsgruppen“. Knallhart, aber nicht einfach wegschiebbar.

Junge Menschen sind heute nicht nur sexuell früher reif; sie sind in vielen Dingen, die ihr weiteres Leben maßgeblich orientieren, zum Entscheiden befugt oder gedrängelt, u.a. in Sachen Schulbildung, Konsum- und Medienverhalten.

Warum sollten sie, wenn ihr Interesse für die Politik denn wach ist, nicht das Recht haben, sich als Wähler bei Referenden, Kammer-, Europa- und Gemeindewahlen politisch auszudrücken?

Die Argumente der Nein-Sager (CSV, ADR, LCGB) wirken konfus: Informationsdefizit „in dem Alter“, „vorher über die direkten und die indirekten Konsequenzen auf zivil- und strafrechtlicher Ebene nachdenken“, „déi Jonk sinn d’Zil vu ville Manipulatiounen“ …
Allons!

Wenn Luxemburg das bisschen Gestaltungsraum, das nach den vollzogenen und kommenden Souveränitätstransfers an die EU verbleibt, politisch nutzen will, muss das Wahlvolk das Potenzial der Demokratie ausschöpfen. Dazu bieten Referenden eine gute Möglichkeit.

Wie auch die Gewährung des Wahlrechts an die 16- und 17-jährigen Luxemburger, die es nutzen möchten.

Es wären im Idealfall alle 5.000, bei einer Wahlbevölkerung von 250.000. Zwei Prozent! Wie kleinlich sind wir denn?