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Zu spät und zu wenig

Zu spät und zu wenig
(Reuters)

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Dem im Laufe der Schuldenkrise in der Eurozone stets erhobenen Vorwurf des „Zu spät, zu wenig“ könnte man ruhig ein „noch immer“ hinzufügen.

Denn daran hat auch das letzte Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs vorvergangene Woche in Brüssel nichts geändert. Auch wenn sich bei der „Avantgarde“ der Europäischen Union, den EU-Parlamentariern, vergangene Woche zwar verhaltener, aber dennoch leichter Optimismus über die jüngsten Entscheidungen der 27 regte.

Guy Kemp gkemp@tageblatt.lu

Die europäischen Volksvertreter, von denen sich die vier größten Fraktionen (konservative EVP, Sozialisten, Liberale und Grüne) offenbar in Fragen der Bewältigung der Krise zu einer informellen Koalition zusammengeschlossen haben, üben jetzt Druck aus, damit zumindest das Wenige an Erfolgversprechendem, was der EU-Gipfel jüngst gebar, so schnell wie möglich umgesetzt wird. Noch im September soll die EU-Kommission die ersten legislativen Vorschläge auf den Tisch legen. Einen weiteren, für Oktober geplanten Zwischenbericht der vier Präsidenten, die Vorschläge für eine tiefergehende Wirtschafts- und Währungsunion ausarbeiten sollen, wollen die EU-Parlamentarier erst gar nicht abwarten. Dazu sei jetzt keine Zeit mehr, es müsse sofort gehandelt werden, fordern sie.

Zögerlichkeit des EU-Rates

Die Europa-Parlamentarier treten dabei sehr selbstbewusst auf. Denn sie haben mittlerweile bereits öfter die Erfahrung machen müssen, dass sie den EU-Staats- und Regierungschefs nicht nur zeitlich, sondern auch inhaltlich um Längen voraus sind. So manches, was der Europäische Rat auf seinen Gipfeltreffen der Öffentlichkeit als entscheidende Schritte der 27 gegen die Krise verkauft, hatten die europäischen Volksvertreter bereits Monate zuvor entweder in Verhandlungen mit dem Rat oder in Resolutionen gefordert.

Jüngstes Beispiel ist die europäische Bankenaufsicht, die im Rahmen einer Bankenunion entstehen soll und vor anderthalb Wochen als einer der Gipfel-Durchbrüche gefeiert wurde. Die Einführung einer solchen Bankenaufsicht wurde noch vor rund zwei Jahren bei entsprechenden Verhandlungen über geeignetere Kontrollorgane im Zuge der Finanz- und Bankenkrise von EU-Finanzministern abgelehnt.

In gleicher Weise zögert der Europäische Rat die Auflage eines Schuldentilgungsfonds hinaus, der im Europäischen Parlament als das Mittel gegen die steigende Zinslast mancher Euro-Staaten angesehen wird. Dass sich der Vorsitzende der liberalen Fraktion im EP, der ehemalige belgische Ministerpräsident Guy Verhofstadt, einen Spaß daraus macht, zu betonen, dass es sich hierbei um eine „gute deutsche Idee“ handelt, geht auf den Umstand zurück, dass gerade die deutsche Kanzlerin Angela Merkel mit Vehemenz die Gegner einer Vergemeinschaftung der Schulden in der Eurozone anführt. Denn es war gerade das offizielle Beratungsorgan der Bundeskanzlerin in wirtschaftlichen Fragen, der sogenannte „Sachverständigenrat für Wirtschaft“, der diesen Vorschlag in die Diskussion einbrachte, bevor dieser von den EP-Abgeordneten übernommen wurde.

Diese Zögerlichkeit, gute Ideen sofort umzusetzen, trägt wohl in gewissem Maße zur Verschärfung der Krise in der Eurozone bei und verdeutlicht eines: Die Euro-Staaten wollen wohl eine gemeinsame Währung, allerdings fehlt es an der konsequenten Entschiedenheit, diese auch mit allen politischen und institutionellen Mitteln zu verteidigen. Das ist die Schwachstelle der Währungszone, die es den Finanzmärkten erlaubt, die Euro-Staaten vor sich herzutreiben.