Er umarmt gerne und fest, hat immer gute Laune, liebt es, Menschen zusammenzubringen, zu netzwerkeln, wie man so schön sagt, ist mit jedem per du und glaubt an die politische Kraft der Kunst. Außerdem ist er sich seines Einflusses als Direktor eines der weltweit größten Filmfestivals bewusst. Deshalb wollte er die Berlinale von Anfang an als das politische unter den Festivals positionieren. Das hat er auch geschafft.
Janina Strötgen jstroetgen@tageblatt.lu
Manche lieben ihn dafür. Böse Zungen sprechen allerdings auch von der Berlinale als Problemfilm-Festival. Bei der Auswahl der Filme, besonders auch für den Wettbewerb, meine Kosslick es zu gut mit den Möchtegern-Weltverbesserern. Das ginge zwangsläufig auf Kosten der Kunst. Es stimmt: Ein Film ist zunächst einmal ein Film, eine Kunstform, die an ästhetischen, narrativen und dramaturgischen Kriterien gemessen wird. Gute Kunst lässt sich nicht instrumentalisieren. Sonst wäre es ja Propaganda. Keiner hat den Begriff von politisch engagierter Filmkunst besser auf den Punkt gebracht als Jean-Luc Godard: „Es geht nicht darum, politische Filme, sondern Filme politisch zu machen.“
Doch was macht einen Film politisch? Zunächst einmal ist es der Wille, die Wirklichkeit zu verstehen. Diesen Willen haben nur politisch denkende Menschen. Ein politisch denkender Mensch möchte das Gewordene als etwas Gemachtes entschlüsseln, um den Glauben an die Veränderbarkeit der Wirklichkeit zu stärken. Die Macht eines politisch denkenden Filmemachers liegt darin, dem Status quo dieser Wirklichkeit mit erzählten Geschichten entgegenzuwirken.
Kampf gegen kommerzielle Zäsur
Ein paar Beispiele: „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ heißt ein Film von Rosa von Praunheim aus den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Die Berlinale hat Praunheim in diesem Jahr, jenem Jahr, in dem die in vielen Gesellschaften Europas schlummernde Homophobie anlässlich der Diskussionen um die Homo-Ehe radikal herausgebrochen ist, die Goldene Kamera verliehen. „Pardé“, ein Film, der vor den Augen der Weltöffentlichkeit gezeigt wurde, obwohl er eigentlich gar nicht hätte entstehen dürfen, gewinnt im Wettbewerb der Berlinale den Silbernen Bären für das beste Drehbuch. Anlässlich der Verleihung des Ehrenbären an Claude Lanzmann wurde auch der Film „Shoah“ gezeigt, der der gestressten Medienwelt neuneinhalb Stunden Konfrontation und Stille zumutet und dadurch die Geschichte entschleunigt. Und ein Film, der mit 17.000 Euro realisiert wurde, gewinnt gleich zwei Silberne Bären. Wird damit nicht der kommerziellen Zäsur der Kampf erklärt? Steht „Shoah“ nicht für eine nachhaltige Erinnerungskultur? Hat die Regierung im Iran nicht eine saftige Botschaft erhalten? Ist die Lage vieler Homosexueller nicht heute immer noch pervers? Wirken diese Filme und Ehrungen etwa nicht dem Status quo der Wirklichkeit entgegen? Es scheint so, als sei Dieter Kosslick mit den Jahren weiser geworden. Gutgemeintes hat in seinem Programm immer weniger Platz. Filme, die die böse Welt zeigen, um am Ende ein Fenster der Hoffnung aufzumachen, überlässt er getrost anderen Festivals. Er öffnet seinen Wettbewerb für junge Filmemacher, deren Namen sich zwar die wenigsten Kritiker merken können, die jedoch zornig sind, die ihre Geschichten aus Kasachstan, aus Rumänien, aus Bosnien oder Russland mit solch nüchterner Härte erzählen, dass sie die Welt bloßstellen. Die Berlinale soll immer zorniger werden, auf „Naked Opera“ soll „Naked World“ folgen, dann dürfen auch der rote Schal und das Dauergrinsen bleiben. Denn das ist ja nur Oberfläche. Spannend war, ist und bleibt, was unter dem roten Teppich liegt.
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