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Wegweisende Symbolik

Wegweisende Symbolik
(dpa)

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Wie in kaum einem anderen Land weiss man in Luxemburg, wie wichtig ein gut funktionierendes Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich für Luxemburg ganz sicher aber auch für Europa wirklich ist.

Immer wieder haben wir in wichtigen Phasen unseres Landesdaseins unsere beiden Nachbarn beobachtet. Das Treffen am Sonntag in Reims zwischen dem französischen Präsidenten François Hollande und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel zum 50. Jahrestag der französisch-deutschen Aussöhnung mag auf den ersten Blick etwas schwerfällig gewirkt haben. Dennoch könnte es eine neue Dynamik in die aktuelle Lage Europas bringen.

Serge Kennerknecht skennerknecht@tageblatt.lu

So wie Charles de Gaulle und Konrad Adenauer in Reims am 8. Juli 1962 mit der Aussöhnung der ehemaligen Feinde jenen entscheidenden Akt vollzogen, der Europa auf seinen Weg von einer Kohle-und-Stahl-Gemeinschaft hin zu einer Europäischen Union lancierte.

23 Jahre nachdem die Luxemburger und ausländische Korrespondenten als eine Art Kriegstouristen vom Markusberg in Schengen aus während der „drôle de guerre“ 1939 die Kriegsscharmützel zwischen den deutschen und französischen Truppen jenseits der Mosel beobachtet hatten, 23 Jahre bevor 1985, ebenfalls in Schengen, das erste Abkommen unterzeichnet wurde, das den Bürgern endlich jene Bewegungsfreiheit ohne Grenzen bringen sollte, die es für Handel und Kapital schon lange gab. Keine Generation also hat es gedauert, um von fürchterlichen Kriegsgeschehen zu einem Ausgleich zu gelangen, und ebenfalls keine Generation, um sich danach auf ein teilweise grenzenloses Europa zu einigen.

Nun kommt der Begegnung von Hollande und Merkel sicher nicht die historische Bedeutung des ersten Treffens zu. Aber in einem von der Schuldenkrise arg gebeutelten Europa ist es ein Lichtblick.

Führungsrolle ja, aber kein Diktat

Zum ersten Mal seit langem hört man wieder einen französischen Präsidenten und eine deutsche Bundeskanzlerin sagen, wie wichtig das deutsch-französische Verhältnis sei und wie wichtig dabei auch der Aspekt, dass nicht ganz Europa am Wesen des Duos genesen sollte. Führungsrolle ja, aber kein Diktat, so Hollande und Merkel einstimmig. Mit anderen Worten, in Reims haben beide Politiker wenigstens für den Zeitraum eines „Augenblicks“ eine Rückbesinnung auf das vollzogen, was man die europäische Methode nennen könnte: Gleichberechtigte Partner verhandeln auf Augenhöhe miteinander, um das Gebilde Europa gemeinsam voranzubringen. Und es geht nur so. Denn bei den ganzen Diskussionen über die Bewältigung der Schuldenkrise hat man den Eindruck, dass es eben das Fehlen des gemeinsamen Ansatzes und einer gemeinsamen Zielsetzung ist, welches das Weiterkommen so schwierig macht. Was auch damit zu tun hat, dass es unterschiedliche Entwicklungen in Europa gegeben hat. Während die Länder, die vor dem Mauerfall bereits in der Union waren, eigentlich schon dabei waren, immer mehr Souveränität abzugeben und auf einer übergeordneten Ebene zu bündeln, fand in den später hinzukommenden Ländern das genaue Gegenteil statt. Sie erlangten die eigene Unabhängigkeit und Souveränität zuerst, von der sie sich, so kurz danach, selbst teilweise nur schwer trennen wollen. Das hat den europäischen Einigungsprozess verständlicherweise zurückgeworfen, jedoch nicht unmöglich gemacht. Denn auch in diesen Ländern weiß man, dass die neue Souveränität ohne den europäischen Wirtschaftsraum eine leere Hülse bleibt und der Wirtschaftsraum ohne politische Einigung nicht zu haben ist. Nur eine Rückbesinnung auf das eigentliche EU-Ziel eines wirklich gemeinsamen Europa, so, wie es am Sonntag aus Reims verlautete, kann über alle Nationalismen hinaus jene geistige und politische Bewegungsfreiheit bringen, derer es zur Bewältigung der aktuellen und kommenden Krise bedürfen wird. Um so mehr als damit der eigentliche Nutzniesser der ganzen Anstrengung, der Bürger endlich wieder in den Mittelpunkt rücken wird.

Und das ist dringend nötig. Denn was wir den Menschen in einigen unserer europäischen Länder aus finanztechnischen Gründen zumuten, ist, ungeachtet aller Diskussionen über Schuldzuweisungen, eine Schande für Europa. Sollte der Diskurs vom Sonntag in dieser Hinsicht wirklich ein Umdenken bringen, stünde auch das zweite Treffen von Reims für eine wegweisende Symbolik.