Die Regierung – und insbesondere das Gesundheitsministerium – hat einen weiteren Schritt in Richtung „Direkter Rede“ unternommen. Es wird angekündigt, verkündet, präsentiert und aufgetreten. Fragen von Journalisten, die außerhalb der raren Pressekonferenzen per E-Mail oder telefonisch gestellt werden, werden je nach Komplexität nur mit einem demotivierten Achselzucken beantwortet – wenn überhaupt. Und das mitten in der Pandemie.
Ein schönes Beispiel davon hat sich erst am Mittwoch vor einer Woche abgespielt. Zwei Tage vor Weihnachten verkündet der Premierminister erneute Maßnahmen – wegen der neuen Omikron-Variante. Diese sei „höchst infektiös und verbreitet sich auf rasante Art und Weise“, erklärte Xavier Bettel. Und wie rasant? Die Zahl der festgestellten Omikron-Fälle in Luxemburg musste der Tageblatt-Journalist der Gesundheitsministerministerin erst aus der Nase ziehen. Ob diese in jenem Altenheim aufgetreten sind, in dem die Reinigungskraft arbeitete, bei der der erste Fall detektiert wurde? Darüber werden wir wahrscheinlich in der Retro 2022 berichten können.
Noch ein Beispiel aus dem journalistischen Alltag im Jahr 2021: Das Contact Tracing ist unzweifelhaft eines der wichtigsten Standbeine der Luxemburger Pandemie-Strategie. Das wurde so zumindest von der Regierung angekündigt, verkündet und präsentiert. Im Herbst, als die vierte Welle ins Rollen kam, war vom Contact Tracing nichts zu hören. Wir wollten Ende Oktober vom Gesundheitsministerium wissen: Wie ist die Tracing-Abteilung für die nächste Welle gerüstet? Wie viele Menschen arbeiten dort? Werden neue Mitarbeiter rekrutiert? Statt einer Antwort bekamen wir ein Interview mit der Leiterin der Abteilung zugesichert. Danach: Sendepause. Nach der vierten Nachfrage und einen Monat später dann eine Antwort, die an Realsatire grenzt: „Unsere Mitarbeiter des Contact Tracing haben leider alle Hände voll zu tun und können Ihnen daher leider aktuell kein Interview geben.“ Unsere ursprünglichen Fragen? Wurden unbeantwortet gelassen.
Noch ein Beispiel gefällig? Wie Xavier Bettel und Paulette Lenert des Öfteren bei ihren Pressekonferenzen betonen, ist die Belegung der Intensivstationen ein entscheidender Indikator. Jeden Wochentag (um den „Krankenhaus- und Monitoring-Teams einen Moment der Ruhe zu gönnen“ werden seit April am Wochenende keine Zahlen mehr veröffentlicht) verlautet die „Santé“ die aktuell mit Covid-19-Patienten belegten Intensivbetten. Aber wie groß sind die Intensivkapazitäten in Luxemburg insgesamt? Und wie viele Betten könnten im Notfall zusätzlich aktiviert werden? Diese Fragen stellten wir Anfang November dem Gesundheitsministerium. Eindeutige Antworten stehen bis jetzt aus.
Fragen zur Pandemie und zum Handeln der Regierung in der Pandemie sind nicht nur in den Zeiten allgemeiner Einschränkung mehr als gerechtfertigt. Aber gerade jetzt sollte die Exekutive die Presse mit mehr Respekt behandeln. Durch ihre Leser repräsentiert sie auch die Bürger des Landes – also diejenigen, die sie gewählt haben und die ihr damit Prokura über ihr Steuergeld gegeben haben. Diejenigen, die mit den Einschränkungen, die die Exekutive verhängt, schlussendlich leben müssen. Und die ihr Handeln nachvollziehen müssen.
„Wenn die Regierung sich beklagt, dass Falschinformationen zirkulieren, dann ist es auch ihre Aufgabe, mit Fakten an die Öffentlichkeit zu gehen“, sagte der Journalist Laurent Schmit bei einer Demonstration für ein funktionierendes Informationszugangsrecht im Mai. Die Presseleute versperrten dabei mit einem Vorhängeschloss das Tor zum Staatsministerium – als Symbol für das Schweigen der Regierung. Seit spätestens 2004 wird in Luxemburg ein Informationszugangsgesetz gefordert, das Probleme wie in den oben stehenden Beispielen lösen könnte. Aber auch 2021 gab es das unglaublicherweise nicht.
Zur Pressefreiheit gehört auch dazu, dass man die Fragen der Presse beantwortet. Regierung, lass uns Dir helfen. Dafür sind wir da.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können