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Verpönte Videospiele

Verpönte Videospiele
(Tageblatt)

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In Köln findet derzeit eine der größten Spielemessen der Welt – die Gamescom – statt. Im letzten Jahr besuchten 335.000 Menschen die Messe. Darunter 6.000 Journalisten und 31.500 Fachbesucher.

Die Besucher nahmen teils stundenlange Wartezeiten auf sich, um ein paar Minuten eines noch nicht veröffentlichten Spiels ihrer Lieblingsreihe anspielen zu können. Zum Vergleich: Die Frankfurter Buchmesse zog im letzten Jahr „nur“ 270.000 Besucher an.

Yves Greis ygreis@tageblatt.lu

Die Videospiele-Branche ist längst zu einer riesigen Industrie geworden, an der Entwickler und Verleger Millionen verdienen. Der Softwarekonzern Activision Blizzard etwa vermeldete am Mittwoch einen Quartalsumsatz von rund einer Milliarde US-Dollar.

Davon abgesehen sind Videospiele heute – ähnlich wie der Film – zu einer Kunstform avanciert. Einer Kunstform freilich, die oft noch verkannt wird. Zwar glaubt heute (fast) niemand mehr ernsthaft, dass Ego-Shooter zu Amokläufen führen, aber viele Eltern würden es sicherlich lieber sehen, wenn ihre Sprösslinge weniger Zeit am PC und mehr Zeit auf dem Bolzplatz verbringen würden. Dabei sind Computerspiele nicht der schlechteste Zeitvertreib. Sie erfordern Kreativität („Minecraft“) oder Teamgeist („League of Legends“), zwingen den Spieler, aus seiner gewohnten Perspektive auszubrechen („Portal“), fördern Multitasking („Star Craft II“) und behandeln philosophische Themen („Deus Ex“). Als Kunstform können Computerspiele so manchen Hollywood-Blockbuster in die Tasche stecken. Sie erzählen Geschichten, haben überraschende Wendungen („Bioshock Infinite“) und einen Soundtrack, der von einem symphonischen Orchester eingespielt wird („God of War III“). In puncto visuelle Effekte können die meisten heutigen Videospiele mit jedem Hollywoodstreifen von Regisseur Michael Bay locker mithalten. Auch Menschen, die es lieber etwas alternativer und „artsy“ mögen, bieten Computerspiele etwas: von retro („Papers, Please“) bis skurril (Goichi-Suda-Spiele).

Zurück zum Bolzplatz: Für einige Spiele gibt es seit langem schon – wie im Sport – richtige Meisterschaften und Profi-Ligen. Die Spieler werden verehrt wie so mancher Sportler. Ihre Strategien und Kniffe werden kopiert und nachgespielt. Die Spiele werden (insbesondere in Asien) übertragen und von Tausenden Fans verfolgt. Das Finale der „League of Legends“-Weltmeisterschaft 2014 zum Beispiel wurde in einem Fußballstadion in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul vor 40.000 Menschen live ausgetragen. Millionen Menschen verfolgten das Spiel am Bildschirm.

Seit „Pong“ (1972) und „Zork“ (1977) hat sich also so einiges getan. Doch immer noch begegnen viele Menschen Videospielen mit großer Skepsis und Vorurteilen. Nicht selten, weil sie selbst noch nie ein gutes Spiel gezockt haben. Klar: Es gibt auch schlechte Spiele. Doch auf jedes schlechte Spiel kommen gefühlte 100 Schundromane und grottenschlechte Filme. Es lohnt sich, es auszuprobieren. Es gibt Computerspiele für jeden Geschmack und jede Geschicklichkeitsstufe. Sicher ist, Computerspiele werden, was ihren kulturellen Wert angeht, deutlich unterschätzt.