Headlines

Retourkutsche

Retourkutsche
(Tageblatt)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Die Landwirte meinten es gut mit den hauptstädtischen feinen Nasen am Dienstag. Anders als die französischen Kollegen vor einigen Wochen kippten sie keinen Kuhmist auf die Chaussee.

Zwar machten die Fahrer der knapp 60 Traktoren kräftig Radau, doch es ging zivilisiert zu. Das Luxemburger Modell des Miteinanderredens funktionierte erneut. Dabei hatte ausgerechnet die Politik den Bauern die, pardon, Sauerei eingebrockt, die sie seit Monaten umtreibt: sinkende Preise, die die Produktionskosten nicht decken.

Lucien Montebrusco lmontebrusco@tageblatt.lu

Es stimmt schon: Europas Landwirte verkaufen ihre Ware an die „Veredler“, wie Schlachthöfe und Milchindustrie heute euphemistisch heißen. Und die drücken die Preise nach unten. Doch die Stimmung der Bauern vermieste auch die desaströse Russland-Politik der EU der vergangenen Monate. De Lëtzeburger Bauer, die Zeitung der Bauernzentrale, des größten Interessenvertreters des Sektors, hatte es bereits Ende Juli auf den Punkt gebracht: „Sicher mag niemand das feindliche Eingreifen Russlands in die Ukraine rechtfertigen oder schönreden wollen. Es ist jedoch ein Fakt, dass infolge der von der EU verhängten Sanktionen Russland mit seiner Gegenreaktion voll den europäischen Agrarsektor getroffen hat. Mit dem Russland-Embargo auf einer breiten Palette von Agrarprodukten sind von heute auf morgen wichtige Absatzmärkte für die europäische Landwirtschaft verloren gegangen mit der Folge, dass die Erzeugerpreise in der Union massiv eingestürzt sind.“ Ein Fakt, an den die Bauern am Dienstag vor dem Agrarministerium erneut erinnerten.

Die Landwirte bemühen sich auf ihre besondere Weise um Gehör bei den Regierenden, wenn auch ohne Erfolgsgarantie bisher. Andere Leidtragende der EU-Sanktionspolitik gegen Russland erdulden die Folgen leise und ohne großen Lärm. Dass es sie gibt, geht aus einer Studie des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) hervor, die im Juni veröffentlicht wurde. „Die Exportausfälle, die wir im Herbst vergangenen Jahres schlimmstenfalls angenommen hatten, sind inzwischen Realität“, sagte Autor Oliver Fritz vom WIFO. Prognosen zufolge sind europaweit durch die Russland-Krise mittelfristig rund 100 Milliarden Euro an Wertschöpfung in Gefahr. Gefährdet wären nahezu zwei Millionen Arbeitsplätze. Moskau hatte im August 2014 als Gegenmaßnahme zu den Sanktionen den Import landwirtschaftlicher Produkte und Lebensmittel wie Milch, Obst, Gemüse, Käse und Fleisch aus der EU untersagt.

Die Sanktionen trafen wohl Russland, nur nicht die Schichten, die man eigentlich als Putin-Einflüsterer im Visier hatte. „Kaum einer der 150 Russen und Ukrainer, darunter enge Vertraute Wladimir Putins bis hin zum Geheimdienstchef Alexander Bortnikow oder dem stellvertretenden Leiter der Präsidentschaftsadministration Wjatscheslaw Wolodin, scheint wirklich betroffen. Das Eigentum der meisten, wenn sie denn welches auf dem Gebiet der EU haben sollten, blieb unentdeckt und unangetastet“, kommentierte Die Welt am 16. Juni genüsslich den Erfolg der Sanktionen.

Den Luxemburger Landwirten wird das wenig helfen. Doch der Politik könnten sie die Moral der Geschichte weitererzählen: In einer Welt der gegenseitigen Abhängigkeiten ist mit Sanktionspolitik wenig zu holen. Zwar schadet man der Gegenseite, doch die Retourkutsche schmerzt nicht minder. Eine Win-win-Situation sieht anders aus.