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Nichts ist heilig

Nichts ist heilig
(Tageblatt/Alain Rischard)

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Am Montag marschierten in Dresden mal wieder die Brunzköpfe von der Pegida. Einige davon entblödeten sich tatsächlich nicht, Banner mitzuführen, die in weißer Schrift vor schwarzem Hintergrund die Namen der ermordeten Charlie-Zeichner zeigten, das Ganze garniert mit dem ... christlichen Kreuzeszeichen.

Hätte es noch eines Beweises bedurft, dass diese Kretins (sowie ihre Luxemburger Gesinnungsgenossen, die den «Roude Léiw» schänden, indem sie bei solchen Borniertenfestivals seine Flagge zeigen) eben nicht «Charlie sind», so haben sie ihn mit dieser Aktion selber erbracht.

Zum Thema Récup: Der alte Le Pen hatte im Gegensatz zu seiner Tochter zumindest die Dezenz, unmissverständlich zu erklären, dass er nicht solidarisch mit den ermordeten Satirikern ist. Dabei waren deren Porträts, die ihn bei Bedarf auch schon mal als putziges Hundehäufchen oder als drolligen Eiterpickel zeigten, durch die Bank recht treffend geraten.

Zurück zum Kern der Charlie-Tragödie, der Meinungs- und Pressefreiheit. Am Dienstag wurde bekannt, dass im Département Moselle die drei monotheistischen Religionen sich einig sind, die Abschaffung des aus preußischen Zeiten ererbten Blasphemie-Paragrafen zu befürworten, da er mit der Meinungsfreiheit nicht zu vereinbaren sei.

Umso merkwürdiger mutet da die Forderung des Imams der Mamer Moschee an, dass sich die Vertreter der christlichen, jüdischen und islamischen Sekten zusammensetzen sollten, um gemeinsam zu definieren, über was gelacht werden dürfe und was künftig tabu zu sein habe.

On croit rêver! Im Jahr 2015 fordert ein «Geistlicher» wieder die Einführung der Zensur! Er will festlegen, «was heilig ist, was also nicht karikiert werden darf».

Nun, mein lieber Herr Imam, wir können Ihnen hier kurz und präzise erklären, was heilig ist: nämlich NICHTS! Nichts ist heilig. Nichts ist tabu. Und ALLES darf karikiert werden. Und so lautet denn auch die Antwort auf die berühmte Frage «Darf man wirklich über alles lachen?» in einem einzigen Wort: Ja! Und darüber kann und wird es keine Verhandlungen geben.

Es bereitet einem dann doch Sorgen, dass dieser Prediger, der gemeinhin offenbar als die Stimme der Gemäßigten angesehen wird, nur wenig Ahnung davon zu haben scheint, was das Wesen einer parlamentarischen Demokratie ausmacht. Auch in einer Demokratie ist die Rede- und Publikationsfreiheit nicht schrankenlos: Es darf hierzulande zum Beispiel niemand fordern, dass man Juden, Moslems oder Atheisten «frecktschloen» solle. Und das wird wohl jeder zivilisierte Mensch begrüßen.

Doch die einzige Instanz, die solche Einschränkungen verfügen darf, ist das aus freien und allgemeinen Wahlen hervorgegangene Parlament. Und sonst niemand! Und schon gar keine Frommen, welcher – sich selbst als hochheilig dünkenden – Sekte sie auch immer angehören mögen.

Freiheit und Menschenrechte wurden zum großen Teil gegen den erbitterten Widerstand der organisierten Religionen errungen. Und es gibt immer wieder Vertreter dieser Religionen, die uns daran erinnern, dass dieser Kampf niemals endgültig gewonnen ist. On les a à l’oeil!