– „Aha. Wir 22.“ In der Replik klang unterschwellig der Vorwurf: Luxemburger bekommen den Wagen 5 Prozent billiger; warum?
Alvin Sold asold@tageblatt.lu
Spinnen wir den Gedanken weiter.
Luxemburger, „die“ Luxemburger, alle Luxemburger, leisten sich was auf Kosten der anderen. Sie horten die Milliarden der Steuerhinterzieher aller Nationen; sie missbrauchen ihre staatliche Souveränität, um via Tax-Rulings und andere Techniken obszönen Nachlass auf Gewinnen zu bieten. Alles Schmarotzer. Verbrecher. Schluss damit!
Es wäre ein Fehler mit dramatischen Folgen, die generelle Anti-Luxemburg-Stimmung nicht ernst zu nehmen. Da wird ein Tsunami uns wegspülen, wenn wir versuchen, die Sache einfach auszusitzen. Denn mit der Fortsetzung der Austeritätspolitik in Europa, die immer weitere Bevölkerungskreise verunsichert und/oder in die Armut treibt, wächst der Druck auf die EU-Regierungen, endlich etwas gegen Luxemburg zu tun.
Vor diesem Hintergrund ist der vormalige Luxemburger Premier und Finanzminister Juncker in Brüssel beileibe kein Schutzschild. Er wird, um im Amt zu bleiben, seinen Gönnern immer wieder beweisen müssen, wie hoch er jetzt über den kleinstaatlichen Interessen seines Landes steht.
Nun ist es aber so, dass die kleinstaatlichen Interessen für uns alle, die 290.000 hier lebenden Luxemburger und die 260.000 Ausländer sowie die 170.000 Grenzgänger, unverzichtbar sind.
Mit dieser simplen Tatsache hat die breite Öffentlichkeit sich noch nicht auseinandersetzen müssen, weil die Dinge auch nach der Ära Stahl wie von selbst zu laufen schienen, dank der explosiven Entwicklung des Finanzplatzes.
Wir müssen, weil es ums Eingemachte geht, nach innen und nach außen ganz klar sagen, in welchen Bereichen wir Europa unsere Autonomie nicht einschränken lassen. Jedes EU-Mitglied hat ein unantastbares Anrecht auf seine Existenzgrundlage, Luxemburg auch. Es gibt den unabhängigen Luxemburger Staat seit 1815, 1839 oder 1867, je nach Betrachtung; die Großmächte, die ihn gründeten, gaben ihm nichts auf den steinigen Weg in die Zukunft mit, nichts außer der Souveränität, die er friedlich nutzte.
Woran es gegenwärtig, am Anfang der anstehenden Debatten mit Nachbarn und Partnern, fehlt, ist politisches Selbstbewusstsein. Das rührt vom seit Jahrzehnten währenden Desinteresse für die Politik an sich her: Gestritten wurde über die praktischen Auswirkungen der Programme oder Gesetze, aber nicht über deren politische Begründung. Dieses Defizit ist natürlich eine Folge des überholten Wahlsystems, das die Politik allzu häufig auf den Kampf um Mandate (Pfründe?) reduziert.
Daher begrüßen wir den Mut der Bettel-Schneider-Regierung, die Volksabstimmungen wagt. Die Luxemburger erhalten endlich die längst überfällige Chance, sich direkt mit Kernfragen zu beschäftigen, in aller Freiheit.
Eine Lehrzeit ist angebrochen, in der wir zusammen die Stärken und Schwächen der direkten Demokratie erfahren können. Tun wir es mit Eifer und Fairness!
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