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Heilender Bumerang

Heilender Bumerang
(Tageblatt-Archiv/Didier Sylvestre)

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Belgien wird verklagt, Deutschland auch, Australien wurde es, genauso wie Kanada.

Geklagt wird nicht vor ordentlichen Gerichten, sondern in Washington, wo im Gebäude der Weltbank eine sonderbare Institution ihren Sitz hat: das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten, kurz ICSID und seines Zeichens größte internationale Institution, in der Schiedsgerichte tagen.

Logo" class="infobox_img" />Armand Back aback@tageblatt.lu

Bilaterale Investitionsschutzabkommen ermöglichen die hier geführten Schiedsverfahren. Mehr als 3.000 solcher Abkommen gibt es; ein weltumspannendes Netzwerk aus Verträgen, die im Ausland investierende Unternehmen vor Enteignung schützen sollen. Auch Luxemburg ist ein Knotenpunkt dieses Geflechts.

In den späten 1950er Jahren erdacht, sollte die hehre Welt und deren in dunklen Gefilden investiertes Geld
so gegen Schindluder treibende Bananenrepubliken geschützt werden.
Nun, da dieser Ansatz zum Bumerang geworden ist, sich oben genannte Länder auf der für sie ungewohnten Anklagebank befinden, regt sich das Unwohlsein auch in westlichen Staaten. So war das bei der Unterzeichnung der Verträge nicht gedacht. Ins Licht breiteren Interesses rückten diese nebulösen Schiedsgerichte im Zuge der ebenso nebulösen Verhandlungen von EU und USA über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (kurz TTIP) zwischen beiden Wirtschaftsräumen.

Zusätzliche Anreize für Auslandsinvestitionen sollen hierdurch geschaffen werden, die durch die Möglichkeit von Investor-Staats-Klagen gesichert werden sollen.

Wie die Welt sich dreht

Die Erkenntnis, dass solche Klagen nationale Regelungen zu zentralen Lebensbereichen wie etwa Umweltstandards, Arbeitnehmerrechte und Gesundheit ins Wanken bringen, ist wohl oder übel auch den Klagen aus bilateralen Verträgen heraus zu verdanken: Deutschland wird vom schwedischen Konzern Vattenfall wegen seines Atomausstiegs verklagt; Belgien vom chinesischen Lebensversicherer Ping An wegen der Fortis-Rettung; Kanada vom Bergbaukonzern Lone Pine wegen eines Fracking-Moratoriums; Australien vom Tabakkonzern Philip Morris wegen geplanter Raucherschutz-Gesetze. Beispiele, an denen sich ablesen lässt, dass der Begriff „Enteignung“ juristisch gesehen ein sehr weiter sein kann.

Diese internationalen Schiedsgerichte, einst Instrumente zum Schutz vor politischer Willkür, sind für viele zum realen Schreckgespenst geworden. Die Frage lautet, wer politische Willkür definiert. Weit ausgelegt, das ist die Befürchtung, sind höhere Mindestlöhne, strengere Umweltstandards oder ein stärkerer Verbraucherschutz nichts anderes als politische Willkür; zumindest in den Augen weltweit investierender Konzerne. Anders ausgedrückt muss da nicht gleich der böse Diktator kommen und wild drauf los enteignen; es reicht, dass eine demokratisch gewählte Regierung Entscheidungen im Sinne des Allgemeinwohls trifft.

Das Wesen von Schiedsgerichten vermag die Gemüter nicht zu beruhigen. Im Gegenteil. Es handelt sich nicht um die Gerichtsbarkeit eines jeweiligen Staates. Schiedsgerichte bilden sich, z.B. in den Räumlichkeiten des ICSID, für jeden Fall neu. Beide Streitparteien bestimmen die Schiedsrichter, die keine wirklichen Richter sind, sondern zumeist spezialisierte Anwälte aus weltweit agierenden Anwaltskanzleien. Bezahlt werden sie per Honorar. Die Gerichtsverfahren sind nicht öffentlich. Die Urteile werden nicht im Namen des Volkes gesprochen und sind nicht einsehbar. Dabei gehen sie, aufgrund der Tragweite ihrer Entscheidungen, das Volk sehr wohl etwas an.

Diese Erkenntnis setzt sich nun in Europa immer mehr durch. Aus einfachem Grund: Da man plötzlich selber betroffen ist und die TTIP-Verhandlungen, aus dieser Perspektive heraus, für viele nichts Gutes verheißen.

Knapp vier Jahre ist es her, dass ein zu der Zeit noch in Luxemburg ansässiges Unternehmen vor dem ICSID klagte. Das Verfahren, das sich gegen die Republik Südafrika richtete, endete mit einem Vergleich. Der Gegenstand: Die südafrikanische Regierung hatte verfügt, dass u.a. Minenkonzerne einen Teil ihrer Aktien an schwarze Investoren zu verkaufen hätten. Eine Maßnahme, um die Folgen der Apartheid abzuschwächen. Doch Pech gehabt. Um einer drohenden Strafzahlung zu entgehen, willigte Südafrikas Regierung ein, das Gesetz zu entschärfen. Der Fall erregte wenig Aufmerksamkeit. Denn solange die Bananenrepubliken dieser Welt auf der Anklagebank saßen, war dies allen anderen egal. Diese Sichtweise scheint sich nun zu ändern. Ein Bumerang mit Heilwirkung.

(Armand Back/Tageblatt.lu)