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Retro 2021Die Legitimierung des Absurden: Wenn ein Abgeordneter sich selbst stürzen will

Retro 2021 / Die Legitimierung des Absurden: Wenn ein Abgeordneter sich selbst stürzen will
Demonstranten laufen während der Demo am 11. Dezember mit einem Plakat mit der Aufschrift „Uns kriegt ihr nie“ auf die Absperrung der Polizisten zu Foto: Editpress/Alain Rischard

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Wenn politische Beteiligung ad absurdum geführt wird, laufen samstags hunderte Menschen von einem  Polizeiaufgebot begleitet, „Diktatur“ schreiend durch die Innenstadt. Grotesk wird es dann, wenn ein solches Verhalten von der Politik legitimiert wird.

Die Corona-Demonstrationen haben Luxemburg und insbesondere die Innenstadt der Hauptstadt stark geprägt. Das ist eigentlich keine schlechte Nachricht, zeugen Demonstrationen doch von aktiver politischer Teilhabe. Ein wesentlicher Bestandteil politischer Partizipation ist aber die Übereinkunft, dass auf Basis von Fakten und einer gewissen Fachkenntnis diskutiert wird.

Eine repräsentative Demokratie wie das Großherzogtum Luxemburg bietet den Vorteil, dass sich die gewählten Volksvertreter täglich mit einer teils sehr komplexen Materie auseinandersetzen und eine Fachkenntnis aneignen können, um anschließend nach bestem Wissen und Gewissen und in Abwägung der gesellschaftlichen Strömungen politische Richtlinien formulieren und über Gesetzestexte entscheiden zu können. Den Abgeordneten kommt in einer repräsentativen Demokratie somit eine entscheidende Rolle zu.

Es ist deshalb auch kein Zufall, dass die Corona-Demonstrationen am vierten Dezember erstmals eskalierten. Probleme treten nämlich dann auf, wenn gewählte Abgeordnete extremistische Randerscheinungen legitimieren, die nicht nur die Grundprinzipien des öffentlichen Diskurses, sondern das zugrundeliegende System in Frage stellen – und sogar am liebsten stürzen würden. So etwa, als der ADR-Abgeordnete Roy Reding Ende November einer Telegram-Gruppe beigetreten ist, in der auch schon Rezepte für Molotow-Cocktails ausgetauscht wurden.

Groteske Ausmaße

Als „aufgeklärter Ungeimpfter“, wie er sich selbst bezeichnet, könne Reding sehr wohl Falschinformationen identifizieren, behauptet der Abgeordnete, bevor er dann „aus Versehen“ die Nummer des Tageblatt-Journalisten in der Gruppe preisgibt. Der anschließenden Verunglimpfung „Spëtzel von der Gestapo“ stimmt Reding mit einem „Oui, oui“ zu. Und auch sonst scheint der Abgeordnete seinen Fehler nur bedingt bereut zu haben, denn den Beitrag hat er bis heute (Stand 27.12) nicht gelöscht. Stattdessen wirft er der Meute lieber Laurent Mosar’s Tweets zum Fraß vor und widerspricht auch nicht, wenn in dem Channel „aus sicherer Quelle“ behauptet wird, Xavier Bettel habe höchstpersönlich am Steuer des Wasserwerfers gesessen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Dass Roy Redings Vorgehen nur so von politischem Opportunismus trieft, scheint die Schwurbler in der Gruppe jedoch nicht zu stören. An Absurdität ist aber vor allem eins nicht zu überbieten: Die Corona-Demonstranten fühlen sich durch Roy Reding in dem Parlament vertreten, das sie samstags am liebsten stürmen wollen. Mit Phrasen wie „Ech so (sic!) géint Hetz, Haass, Falschinformatiounen an Violatioun vun Grondrechter. Emmer an iwerall.“, die der ADR-Parlamentarier in seiner Antwortmail dem Tageblatt hat zukommen lassen, sind dann wohl nur mit einem äußerst grotesken Humor zu verstehen. Nicht zufällig war der ADR-Abgeordnete an genau dem Tag nicht vor Ort, als 59 Abgeordnete eine Schweigeminute einlegten und mit den Slogans #impfewierkt und #yeswecare dem Pflegepersonal in den Krankenhäusern ihren Dank ausdrückten. 

Dabei wäre es eigentlich die Pflicht als Abgeordneter, proaktiv auf die zahlreichen Falschinformationen hinzuweisen, anstelle das Gefasel vom Sturz des Systems unkommentiert stehenzulassen. Alle 60 Abgeordnete tragen die Verantwortung, Falschinformationen konsequent zu widerlegen, wenn sie auf diese stoßen – und das nicht nur während des medienwirksamen Auftritts am Rednerpult im Parlament.