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Die Frau als «Ergänzung»

Die Frau als «Ergänzung»
(AFP)

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Ein Wort ist nicht nur ein Wort. Ein Wort kann zu einem nationalen Politikum werden, denn seine Bedeutung verrät etwas über die unterschwellige Ideologie des Redners.

Besonders in einem Staat, in dem die Machtkämpfe um die künftige Ausrichtung des Landes noch lange nicht abgeschlossen sind. So ist es in Tunesien derzeit das Wort „Ergänzung“, das zahlreiche Frauen, aber auch manche Männer ganz zu Recht entsetzt.
Die neue Verfassung des Landes ist zwar noch nicht fertig, doch der Artikel 27 der derzeit vorliegenden Version sorgt für Unmut und Empörung. Die Frauen werden in dem umstrittenen Text nämlich als „Ergänzung des Mannes“ bezeichnet. Dieser Ausdruck spricht Bände.

Logo" class="infobox_img" />Michelle Cloos mcloos@tageblatt.lu

Die tunesische Frau wäre fortan also nicht mehr dem Mann gleichgestellt, sondern ihm beigeordnet, wenn nicht sogar untergeordnet. Die Wortwahl nimmt den Frauen ihre Eigenständigkeit. Das vielsagende französische Wort, das benutzt wird, ist „complément“. Die Frauen sind also nicht mehr Subjekt, sondern das Attribut einer anderen Person, sie werden nicht als Individuum wahrgenommen, sondern sozusagen als Anhängsel des Mannes definiert, als Bürger zweiter Klasse.

Die islamische Ennahda-Partei, die seit den ersten freien Wahlen in Tunesien das Parlament und die Regierung dominiert, versucht natürlich, die Polemik herunterzuspielen. Doch die Benutzung des Begriffes „Ergänzung“ ist alles andere als unschuldig.
Sie spiegelt die Weltanschauung der Islamisten wider, die den im Jahr 1956 vom ehemaligen tunesischen Präsidenten Habib Bourguiba eingeführten „Code du statut personnel“ nie wirklich akzeptiert haben. Die progressistische Gesetzgebung garantiert die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter, wie es bis heute in keinem anderen arabischen Land der Fall ist.

Gesellschaftliche Spannungen

Die Entscheidung ist aller Wahrscheinlichkeit nach auch ein Versuch, die Stimmen der konservativsten Teile der Bevölkerung nicht zu verlieren. Denn die Ennahda hat mit den Salafisten Konkurrenz von rechts bekommen. In puncto soziale Gerechtigkeit hat die Regierungspartei ihren Wählern bislang nichts zu bieten gehabt. Dabei war das ihr Hauptversprechen. Um von ihrem Versagen im Bereich der Sozialpolitik abzulenken, versuchen die Islamisten halt ihr religiös-konservatives Profil zu schärfen. Das ist eben viel einfacher, als einen Schritt in Richtung Reduzierung der Ungleichheiten zu unternehmen oder Maßnahmen zur Ankurbelung der angeschlagenen Wirtschaft zu beschließen.

Generell hat sich die Ennahda in den letzten Wochen zahlreiche Feinde gemacht. Die Journalisten prangern den Versuch einer steigenden Einflussnahme der Regierung gegenüber den Medien an. Der linksgerichtete tunesische Präsident Moncef Marzouki warf den Islamisten kürzlich vor, den gesamten Staat kontrollieren zu wollen. Er sprach dabei sogar von einem Rückschritt in die Ben-Ali-Ära.

Doch die Jasminrevolution im Januar 2011 brachte nicht nur die Ennahda an die Macht, sie schaffte auch eine kritische Zivilbevölkerung, die sich den Mund nicht mehr verbieten lässt. So gingen im August Tausende Frauen auf die Straße und protestierten gegen die diskriminierende Wortwahl in der geplanten Verfassung. Seither ist die Verfassungsänderung nicht nur in dem kleinen nordafrikanischen Land ein Thema, sondern sorgt weltweit für Aufschreie und Proteste.

Die Frauen in Tunesien sind jedenfalls nicht bereit, sich unterkriegen zu lassen, und die Islamisten dürften wohl gelernt haben, dass auch kleine, vermeintlich unauffällige Attacken auf bestehende Errungenschaften keineswegs unbemerkt bleiben und dass sich die Uhren nicht so einfach zurückdrehen lassen.