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Am 15. Dezember 1995 wurde auf Kirchberg ein historisches Urteil gefällt. Der Europäische Gerichtshof erklärte das Transfersystem im Fußball für nicht kompatibel mit dem EU-Recht auf Freizügigkeit der Arbeitnehmer.

Die Ablösesummen für Fußballer nach Vertragsende fielen weg, wovon in erster Linie die Spieler profitierten, denn deren Gehälter sollten sich fortan stetig erhöhen.

Philip Michel pmichel@tageblatt.lu

Was damals niemand auch nur im Ansatz erahnen konnte, ist das Ausmaß des Gehälter- und Transfer-Wahnsinns 20 Jahre nach dem Bosman-Urteil. Demnach gaben die Fußball-Profivereine weltweit in diesem Sommer zusammen 2,771 Milliarden Euro für Ablösesummen aus, um Profis aus ihren laufenden Verträgen bei anderen Vereinen auszulösen. Bei insgesamt 6.325 Spielerwechseln macht das im Schnitt fast 440.000 Euro pro Transfer aus. Allein die englischen Vereine kauften im Sommer Spieler für 1,223 Milliarden Euro. Selbst mittelmäßige Fußballprofis sind den Klubs auf der Insel zweistellige Millionenbeträge wert. Möglich macht das der neue Fernsehvertrag, der der Premier League in Zukunft 2,3 Milliarden Euro pro Saison garantiert.

Diese Summen riefen unlängst die internationale Spielergewerkschaft auf den Plan. Die FIFPro will Beschwerde bei der EU-Kommission einlegen und somit das aktuelle Transfersystem kippen, was eine ähnliche Revolution im Fußball bedeuten würde wie das Bosman-Urteil vor 20 Jahren. Die Gehälter der Spieler würden noch einmal explodieren. Allen voran die der Topstars, deren Bezahlung ohnehin jeglicher Vernunft entbehrt. Englands neuer Rekordtorschütze Wayne Rooney zum Beispiel kassiert etwas mehr als den Luxemburger Mindestlohn … pro Stunde, … und auch im Schlaf. Kein Mensch, schon gar kein Fußballer ist so viel Geld wert.

Da die Vereine von den TV-Anstalten aber nun mal mit Geld überschüttet werden, wird dieses in Beine investiert, schließlich ist ein Fußball-Profiklub kein Sparverein. Komisch nur, dass in Anbetracht des neuerlichen Geldregens kein britischer Verein auf die Idee kam, die saftigen Eintrittspreise zu senken. Das würde auch nicht ins Konzept des englischen Fußballs passen, denn der einfache Mann kann sich auf der Insel schon lange keinen Stadionbesuch mehr leisten. Schließlich ist die Premier League ein Premiumprodukt und dazu gehören zahlungskräftige Premiumfans.
Wer nicht in diese Kategorie fällt und sich auch nicht die Abos der beiden (!) Pay-TV-Sender leisten kann, der muss sich die Spiele seines Lieblingsvereins in der Kneipe anschauen, auf den „new terrasses“ – den neuen Stehrängen des kleinen Mannes auf der Insel. Konsequenz: Statt Stimmung gibt es in englischen Stadien „good clean family entertainment“, familiengerechte Unterhaltung.

Englische Verhältnisse gibt es bzw. wird es bald auch in den anderen europäischen Spitzenligen geben, schließlich wollen diese im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig zu den Engländern bleiben. Steigende Ticket- und Merchandising-Preise, zuschauerunfreundliche Anstoßzeiten und teure Pay-TV-Pakete blühen allen Fußballfans.
Vielleicht aber nimmt sich ja die EU-Kommission die FIFPro-Beschwerde zum Anlass, über das gesamte System Profifußball nachzudenken. Was dann aber wohl eher als Wunschdenken eines alten Fußballnostalgikers einzustufen ist.