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Das Morden geht weiter

Das Morden geht weiter
(AFP)

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Die Zahlen sind bedrückend. Bereits über 425 Tote in Gaza, zu 75% Zivilisten, darunter viele Frauen, vor allen Dingen Kinder. Alleine am Sonntag starben 96 Palästinenser und 13 Israelis.

Angesichts der erschütternden Bilder toter Kinder fällt es schwer, die israelische Argumentation nachzuvollziehen, man führe einen Kampf gegen die Hamas und man sei wegen der Raketenbeschüsse und der Ablehnung einer Waffenruhe durch die Hamas und ihre bewaffneten Brigaden zu der militärischen Offensive gezwungen worden, die ab heute noch ausgedehnt werden soll.

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Wobei es erstaunlich ist, über wie viele Raketen die Hamas verfügt. Erstaunlich deshalb, weil sie fast alle aus dem Gazastreifen abgeschossen werden. Aus einem so vollkommen abgeriegelten Gebiet, dass nicht nur die Palästinenser, sondern auch viele international bekannte Politiker von einem offenen Gefängnis sprechen, in das man nur nach dem Passieren von zahlreichen israelischen Kontrollpunkten hineingelangt. Die Sperre gilt auch zur Seeseite hin. Dennoch hat Hamas es geschafft, Raketen in großer Zahl hineinzuschmuggeln. Die Frage, wie das möglich war, steht im Raum.

Israel muss sich also wieder einmal wehren und verteidigen. Das Vorgehen Israels hat offiziell nichts damit zu tun, dass sich Hamas in Gaza und Fatah im Westjordanland auf eine gemeinsame Regierung geeinigt haben, damit die Palästinenser bei Verhandlungen mit einer Stimme sprechen können. Israel hat vehement gegen eine solche Einigung protestiert, die von der internationalen Gemeinschaft und sogar von den USA gefordert und begrüßt worden ist. Eine Entwicklung, die durch die rezenten Ereignisse wieder infrage gestellt wird: Hamas schießt mit Raketen, Hamas ist eine Terrorvereinigung, mit Hamas kann man nicht verhandeln, und auch nicht mit einer Regierung, an der Hamas beteiligt ist, so die Schlussfolgerung. „Die größte Bedrohung für Israel wäre es, in Palästina einen Gesprächspartner zu haben“, sagte mir der israelische Regisseur Juliano Mer-Khamis, fünf Jahre bevor er im April 2011 im Westjordanland von immer noch unbekannten Tätern ermordet wurde.

10 bis 15 Jahre blutrünstiger Konflikt

„Die Israelis werden alles tun, um keinen solchen Gesprächspartner zu haben, da sie ihre einseitige Lösung durchsetzen wollen. Ein geeintes Palästina muss von Israel verhindert werden, da man bei Verhandlungen Kompromisse eingehen muss, während man dies beim Umsetzen einseitiger Lösungen nicht zu tun braucht.“ Er glaubte nicht daran, dass Israel wirklich Friedensgespräche wollte. Die israelische Definition für Frieden laute „wir sind hier und die sind dort“. Israel werde immer einen Vorwand finden, nicht zu verhandeln, so Juliano Mer-Khamis.

Angesichts des 2002 begonnenen Baus der 750 Kilometer langen israelischen Absperrmauer im Westjordanland, zu über 80% zudem illegal auf palästinensischem Grund errichtet, und angesichts der von militärischem Denken geleiteten israelischen Regierung prophezeite er, dass mindestens 10 bis 15 Jahre blutrünstiger Konflikt in Nahost bevorstünden. Beängstigend aktuell.

Der frühere israelische Politiker und Knesset-Präsident Avraham Burg, Autor von „Hitler besiegen“, sieht einen Grund hierfür in der Verflechtung von Militär und Politik in Israel, einem wichtigen Hindernis auf dem Weg zu einem Friedensabkommen. Viele führende israelische Politiker seien vorher militärische Befehlshaber gewesen. Normalerweise sollten zivile Strukturen die militärischen kontrollieren.

Entfalle diese Kontrolle, bestimme das Militärische auch das politische Denken, so Burg in einem Tageblatt-Interview. Den Grund hierfür sieht er in einer Entwicklung, die in den 80er Jahren einsetzte, als die beiden großen politischen Blöcke gleichauf lagen
und man sich für eine gemeinsame nationale Regierung entschieden habe. Seither kenne man in Israel keine richtige politische Opposition und kaum Alternativen mehr.

Als Hauptgrund für die Auseinandersetzung in Nahost sah seinerseits Juliano Mer-Khamis die Besetzung und die durch ständig neue israelische Siedlungsprojekte erfolgende Zerstückelung dessen, was ursprünglich 1949 palästinensisches Territorium war. Kaum mehr 11 Prozent des für den palästinensischen Staat vorgesehenen Gebiets verbleiben, aufgesplittert in 67 verschiedene Teile. Für Mer-Khamis waren „die Konsequenzen, die Influenzen und die Schäden, die eine Besetzung des Landes“ mit sich bringe, ein Grund für Radikalisierungstendenzen. Schläge könne man lindern. Aus Angst, Sorge, Wut und tägliche Erniedrigungen an den Kontrollposten zerbrochene Seelen jedoch kann man nicht heilen.

Der Nahe Osten wird so schnell nicht zur Ruhe kommen. Das Morden geht weiter.

(Serge Kennerknecht/Tageblatt.lu)