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Bald hundert

Bald hundert
(Tageblatt-Archiv/Fabrizio Pizzolante)

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Bald hundert! In vielen Fällen würden schon längst die Vorbereitungen für eine sympathische Feier in der Familie oder für ein großes Fest mit akademischer Sitzung, mit Festschriften, mit Spendenaufrufen und mit extravaganten Event-Einlagen laufen.

Doch in diesem Fall täte man besser daran, nicht „Friede, Freude, Eierkuchen“-ähnlich zu feiern. Sich in Grund und Boden zu schämen, wäre eher angesagt. Nächste Woche findet der 100. Verhandlungstag im Bommeleeër-Prozess statt. Ja, der hundertste!
100 Prozesstage machen summa summarum 300 Verhandlungsstunden für die beiden Angeklagten Scheer und Wilmes, für deren Anwälte Vogel und Lorang, für die Präsidentin Conter, für Staatsanwalt Oswald und natürlich auch für die Gerichtsschreiber, für die Gerichtsdiener, für die Sicherheits- und Kontrollbeamten, für die Journalisten usw.

Roger Infalt rinfalt@tageblatt.lu

„Du jamais vu!“ in unserem kleinen Großherzogtum.

300 Verhandlungsstunden, während derer bis dato lediglich ein einziger Zeuge Tacheles geredet hat, und damit ist der damalige Untersuchungsrichter Prosper Klein gemeint. Der Rest war alles – wie würde Me Vogel sagen – „kollaterale Kack“. Die meisten Zeugenaussagen waren geprägt von Arroganz und einer bestimmten Art von Amnesie und gaben einzig und allein Aufschluss über die unprofessionelle Vorgehensweise der Gendarmerie, der Polizei, des Geheimdienstes und, nicht zu vergessen, der politischen „Décideurs“.

„Es sollte nie zur Aufklärung kommen“

Hohe Offiziere, die sich noch an Gespräche erinnern, aber nicht mehr wissen, mit wem sie gesprochen haben, die nachts über eine Explosion in Kenntnis gesetzt wurden, sich aber im Bett umdrehten, um weiterzuschlafen, die im Suff den oder die Bommeleeër zu kennen angaben, dessen oder deren Namen aber niemanden zu interessieren schien, die Fußabdrücke und Reifenspuren an Tatorten gar nicht erst sicherstellten, sogar dann nicht, als sie vom Untersuchungsrichter dazu aufgefordert wurden, die kistenweise Beweisstücke aus der Hand gaben oder diese selbst zerstörten, die sich mit dunklen Gestalten in Hotels in Brüssel oder sonst wo trafen, sich aber auch daran nicht mehr so genau erinnern können, die plötzlich zu Selbstläufern geworden und so komplett außer Kontrolle geraten sind … Das, was sich damals abgespielt hat, und auch das, was die heute vor Gericht geladenen hochbezahlten, in der Zwischenzeit die Treppe hinaufgefallenen oder mit hohen Renten ausgestatteten Beamten abliefern, ist – gelinde ausgedrückt – ein Skandal hoch zehn, und eigentlich dürfte sich niemand mehr die Frage stellen, ob diese Beamten mit ihrem Vorgehen die Justiz behindern oder nicht. Denn diese Frage kann längst mit „Ja“ beantwortet werden.

Für die, die diesen Prozess noch verfolgen – es gibt von Tag zu Tag immer mehr Leute, denen der Verlauf dieser Gerichtsverhandlungen inzwischen an einem bestimmten Körperteil vorbeigeht –, ist es klar, dass es hierbei längst nicht mehr allein um die Schuld oder Unschuld der beiden Angeklagten Scheer und Wilmes geht, sondern hier geht es klar und deutlich um eine Staatsaffäre, die – wie Prosper Klein es sehr genau formulierte – nie aufgeklärt werden sollte.

Es geht um einen Komplott auf höchstem Niveau, und sollte es der Wahrheitsfindung dienen, dann sollten eben noch weitere 100 Prozesstage eingeplant werden, an denen endlich auch den zuständigen Politikern von damals ordentlich auf die Finger geklopft wird.

Wir sind nämlich jetzt an einem Punkt angelangt, wo die gesamte institutionelle und politische Funktionsweise unseres Landes von damals – vielleicht auch noch von heute – am Pranger steht.