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«Ass eppes?»

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Der Zwischenfall von vergangenem Dienstag im Bahnhof Ettelbrück und das, was anschließend passierte, bringt es einmal mehr auf den Punkt.

Die Polizei, ja wir alle stellen eine stetig zunehmende Gewaltbereitschaft vor allem unter den Jugendlichen fest, doch (fast) keiner möchte es so richtig wahrhaben wollen, aus welchen (fadenscheinigen) Gründen auch immer.

Roger Infalt rinfalt@tageblatt.lu

Erinnern wir uns: Eine Zugbegleiterin machte einen Jugendlichen auf die Gefahren aufmerksam, denen er sich gerade beim streng verbotenen Überqueren der Gleisanlagen von einem Bahnsteig zum anderen ausgesetzt hatte. Der junge Mann quittierte dies, ohne lange zu zögern, mit einem Faustschlag ins Gesicht der Zugbegleiterin, die daraufhin schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht werden musste. Die Polizei konnte den Täter ermitteln und ihn festnehmen (wir berichteten exklusiv in unserer Freitagausgabe).

Doch was anschließend passierte, ist eigentlich ebenso schlimm wie die Tat selbst. Es wird versucht, diesen Zwischenfall totzuschweigen. Erst als wir, von einer Privatperson in Kenntnis gesetzt, darüber berichten, kommt eine Lawine ins Rollen. Die Eisenbahnergewerkschaft meldet sich zu Wort, macht Druck auf den zuständigen Minister, damit es schnellstmöglich zu einem Treffen des „Comité de pilotage sécurité“ kommen soll, der Minister bestätigt ein solches Treffen für nächste Woche, die Eisenbahngesellschaft selbst reagiert mit Bestürzung.

Eine Frage bleibt nach wie vor offen: Warum sollte die Öffentlichkeit nichts von diesem Zwischenfall wissen? Wem tun wir mit diesem Schweigen einen Gefallen? Passen solche Taten etwa nicht in unser Bild der Gesellschaft, das wir uns täglich aufs Neue selbst malen? Jeder spürt das Unbehagen über eine Politik, die trotz hohen finanziellen Aufwands folgenschwere Zwischenfälle nicht verhindern kann, doch die Gesellschaft schweigt sich ihre Welt schön. Unterdessen steigt die Gewaltbereitschaft und sinkt die Hemmschwelle von Tag zu Tag. Die Kleinkriminalität, wie sie in Polizeiberichten genannt wird, ist auf dem besten Weg, außer Kontrolle zu geraten. Ob das nun in Esch, in Luxemburg, in Ettelbrück, Düdelingen, Differdingen oder sonst wo ist, es gibt keinen Unterschied. Natürlich ist in Ballungszentren die absolute Zahl der Zwischenfälle höher, doch prozentual zur Einwohnerzahl gesehen ist die Tendenz überall gleich steigend. Und weshalb?

Jetzt kann man den Frust junger Leute in Erwägung ziehen, die ihre Schule abgebrochen haben, die keine Arbeit finden, die herumlungern usw., usf. Man kann aber auch über die Erziehungspflichten reden, die viele Eltern offenbar nicht mehr wahrnehmen (können). Man kann darüber sprechen, dass es zu viele Jugendliche gibt, die unserer Gesellschaft entgleiten, sich an den Rand der selbigen gedrückt fühlen und sich mit Gewalt dagegen aufbäumen. Man kann … man kann …

Über die genaue Zahl der minderjährigen Straffälligen wird übrigens aufgrund des Jugendschutzgesetzes ebenso der Deckmantel des Schweigens gelegt wie über ihre Tat. Das Gleiche gilt, was den Verlauf der Prozesse und die dort gefällten Urteile angeht, usw. Die Namen der Jugendlichen müssen geschützt werden – in Ordnung –, aber über die Zahl, die Art und die Schwere der Straftaten sollten wir offen reden. Hören wir doch auf, uns selbst zu belügen!