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Armes Schengen

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Vor rund zwei Monaten wurde im luxemburgischen Moselort Schengen mit einer kleinen Feier an den 30. Jahrestag der Unterzeichnung des ersten Schengener Abkommens erinnert.

Auch wenn erst einige Jahre später mit einem zweiten Abkommen das vereinbart wurde, von dem insbesondere die Luxemburger sowie die Menschen in den Grenzregionen am meisten in Europa profitieren, so bedurfte es dennoch des Pioniergeists dieser sechs Staaten, um den Stein ins Rollen zu bringen. Seitdem die Grenzkontrollen in der Mehrheit der europäischen Staaten gefallen sind, ist klar, dass es sich hierbei um eine der größten Errungenschaften für die Europäer handelt.

Guy Kemp gkemp@tageblatt.lu

Dennoch ist die so geschaffene Bewegungsfreiheit in Europa vielen ein Dorn im Auge. Es sind vor allem rückwärts gewandte Menschen, die die Grenzschranken wieder errichten wollen und zu diesem Zweck das Schengen-Abkommen schlechtreden. Wobei sie nicht davor zurückschrecken, mit blanken Unwahrheiten zu operieren, wie etwa die rechtsextreme französische Politikerin Marine Le Pen. Die Vorsitzende des Front National stellt bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Behauptung auf, dass die Terroristen in Frankreich nur dank der abgeschafften Grenzkontrollen, also wegen des Schengen-Raumes, ins Land kommen konnten. Dabei sind in den letzten Jahren alle terroristischen Anschläge bei unseren Nachbarn von Franzosen oder Menschen durchgeführt worden, die bereits sehr lange in Frankreich lebten. Was Marine Le Pen, die das Präsidentenamt in Frankreich anstrebt, nicht davon abhält, an ihrer Version festzuhalten.

Bedauerlicherweise werden solche Schauermärchen auch noch von vielen geglaubt. Und ihre Erfinder finden Nachahmer, die für so manches, was in ihren Ländern schiefläuft, „Schengen“ verantwortlich machen. Und dies ausgerechnet auch hierzulande, wo die Menschen doch eigentlich „houfreg“ darauf sein sollten, dass Schengen europaweit als Synonym für Bewegungsfreiheit steht, für schrankenloses Reisen, und selbst in anderen Regionen der Welt der Erwerb eines „Schengen-Visums“ mit Hoffnung und Glück in Verbindung gebracht wird.

So bemühte sich vorige Woche ein eifriger Briefeschreiber, das Schengen-Abkommen für das Auftreten von Bettlern in der Hauptstadt verantwortlich zu machen. Der Clou der Geschichte ist allerdings: Das ferne Rumänien, wo der angeblich stinkende Tross von Schnorrern herstammt, gehört – ebenso wie das nicht minder ferne Bulgarien, wo ebenfalls potenziell bettelnde „Zigeuner“ leben – nicht einmal dem Schengen-Raum an. Es stimmt daher nicht, dass „grâce aux largesses des intelligents accords de Schengen“ und gänzlich ohne Kontrollen rumänische Bürger zu uns kommen (unter denen sich übrigens sehr liebenswürdige Personen befinden). Jene Menschen, die aus anderen EU-Staaten zu uns kommen, haben dazu das gleiche Recht wie jeder Luxemburger, der in ein anderes EU-Land ziehen will.

Und das ist gut so. Echauffiert man sich über angebliche Missstände, sollte man zumindest bei den Tatsachen bleiben. Hilfreich ist es ebenfalls, wenn man nicht mit unliebsamen Zeitgenossen in einen Topf geworfen werden will, auf die Wortwahl zu achten.