Vor allem dann, wenn sich Houellebecq aus den Klauen der Journalisten befreite, dämliche Fragen etwa hinsichtlich seiner ambivalenten Einstellung zu Journalisten – beflügelt durch Houellebecqs kürzliche Aussage-Verweigerung gegenüber der Le Monde-Journalistin Ariane Chemin – ignorierte und über die Angst sprach.
" class="infobox_img" />Janina Strötgen jstroetgen@tageblatt.lu
Über die Angst als gefährliches Gefühl, das Realitäten verfälschen und unser Handlungs- und Urteilsvermögen lähmen kann. Über die Angst, die unser Zusammenleben stärker beeinflusst, als wir es meist wahrhaben wollen. Über die Angst, die auch Hauptthema seines neuen Romans „Soumission“ ist, der fälschlicherweise zwar gerne als Dystopie gelesen wird, jedoch vielmehr eine feine Analyse unserer Gesellschaft mit der Angst als sie maßgeblich verändernde Kraft ist.
Ob nun die Bettler in der Grand-rue oder die Flüchtlingsströme an den Grenzen Europas – sie machen uns Angst. Weil sie anders aussehen als wir, weil wir sie nicht verstehen und vor allem, weil sie in Not sind. Notleidende Menschen sind beängstigend, denn sie könnten uns ja etwas wegnehmen, zunächst einmal materiell – unsere Arbeitsplätze, unsere Wohnungen. Doch dann auch spirituell – unser Europa, unsere Werte …
Zu erkennen, dass diese Angst, die sich vornehmlich gegen die muslimische Religiosität von Einwanderern und Flüchtlingen richtet, übertrieben, oft gar unbegründet ist, fällt schwer. Deutlich leichter ist es, sich selbstgenügsam hinter sogenannten europäischen – sei es christlichen, sei es säkularen – Werten zu verschanzen und den ohnehin existierenden Fundamentalismusverdacht gegenüber dem Islam weiter zu schüren.
Michel Houellebecq ist es in seinem Roman „Soumission“ gelungen, diese Angst vor der „Islamisierung unseres Europas“ in einen Realitätsentwurf zu verwandeln: Seine Protagonisten leben in einem islamischen Frankreich, in dem die Gesellschaft immer stärker nach islamischen Regeln strukturiert wird. Dadurch, dass das System bei Houellebecq nicht radikal und mit Gewalt verändert wird, sondern sich schleichend, sachte und leise zum Islam hin entwickelt, zwingt er seine Leser zur Reflexion über die blinden Flecken der eigenen Wertvorstellungen.
Diese Leistung macht aus dem Buch ein wichtiges Beispiel dafür, dass Kunst durchaus ihre Rolle zu spielen hat in den Veränderungsprozessen unserer Gesellschaft. Nicht direkt und unmittelbar, dafür aber nachhaltiger und somit wirkungsvoller. Denn Kunst und Kultur zwingen uns zur Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenssituation, aber auch mit der anderer. Sie ermöglichen es, Perspektiven zu wechseln und andere Sichtweisen zuzulassen, sie spielen mögliche Szenarien durch und machen uns damit fit für Veränderungen. Ein gelungenes kulturelles Ereignis weckt Neugierde und Mut. Dazu muss es selbst mutig sein. So wie „Soumission“ von Michel Houellebecq. Und so wie hoffentlich die kulturelle Rentrée in unserem Ländchen …
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