Ich schließe die Augen, spüre die sommerliche Hitze, greife in Gedanken versunken mit meinen Händen in den Sand und auf einmal knallt mir ein Dancehall-Beat mitten ins Gesicht. Die Raps hören sich an, als kämen sie aus Belair, die Sängerin versucht, einen karibischen Dialekt nachzuahmen. Als ich die Augen wieder öffne, merke ich, dass ich mich nicht in Jamaika befinde, sondern im Moskauer Luschniki-Stadion. Der offizielle WM-Song von Will Smith, Nicky Jam und Era Istrafi, «Live It Up» strömt aus den Boxen. Ein Lied, das so gut zu Russland passt wie ein Schwulenklub auf den Roten Platz.
Es ist wieder Weltmeisterschaft – und das mit all ihren Konsequenzen. Hunderte Stunden vor der Glotze, keine Zeit mehr für Freunde, die mit Fußball nichts am Hut haben, und ein Tagesablauf, der auf den Spielplan abgestimmt ist. Eine WM ist aber nicht nur inhuman für den eigenen Körper und Geist, sondern auch eine Tortur für die Ohren.
Unsere Nachbarn aus Deutschland und ihre Barden sind in dieser Hinsicht sehr erfinderisch. Besonders das Remake des 70er-Jahre-Kultsongs «Moskau» der Band Dschinghis Khan hat es in sich. Ausgerechnet Jay Khan wurde als Sänger für die Verwurstung des Songs auserwählt. Wer kommt nur auf so was? Ralph Siegel heißt der Mann und hat das Schlamassel gleich noch auf Russisch und Spanisch produzieren lassen.
Genial-klischeehafte Phrasen wie «Liebe schmeckt wie Kaviar, Mädchen sind zum Küssen da» flogen raus und wurden ersetzt durch «Fußball ist wie Kasatschock» oder «Deutschland he, Deutschland ho, Jogi go!». Wir haben da noch ein paar Vorschläge für die anderen Nationen: «Ra-Ra-Rasputin, Ronaldo ist der Rasenking» oder «Kalinka, Kalinka, Kalinka, Salah». Das Ganze mit ein bisschen Russendisko-Sound verpackt und fertig sind die perfekten WM-Songs für Portugal und Ägypten.
In der Schweiz setzt man auf einen Ibiza-Song von DJ Antoine, in dem es um Balzverhalten und Saufgelage geht. Bei unseren Nachbarn aus Belgien kam es zum Politikum. Rapper Damso durfte am Ende die WM-Hymne nicht singen. Schuld daran waren literarische Ergüsse in seinen früheren Songs wie «La bitch fait sa Françoise Hollande, j’lui dis de partir mais elle en redemande».
Bei solchen musikalischen Highlights hätte Wladimir Putin wohl noch mehr Lust, den eisernen Vorhang wieder zuzuziehen.
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