In Moskau feierten die Menschen in den Straßen und in St. Petersburg jubelten die russischen Fans ihrer «Sbornaja» im proppenvollen Zenit-Stadion zu. Aber auch in Luxemburg werden die Auftritte der bisherigen Überraschungsmannschaft der Weltmeisterschaft verfolgt. Ein Besuch in einer russischen Kneipe.
Es ist Dienstag, 18.45 Uhr. Auf dem Wallis-Platz in Luxemburg laufen in der «Brasserie de la Place», auch noch «Russian Café» genannt, die Vorbereitungen auf die WM-Partie zwischen Russland und Ägypten. Am Tresen steht Mike und nimmt einen Schluck aus einer Flasche Baltika. Die Brauerei aus St. Petersburg expandiert seit Jahren und liefert sogar Bier nach Argentinien. Aus der Küche kommt Chefin Ludmila mit einem Teller Borschtsch.
Die Suppe mit roter Beete ist neben den Pelmeni (Teigtaschen) die beliebteste osteuropäische Spezialität. In der eigenen Heimat würden die Russen wohl kaum in ein Restaurant gehen, um diese Hausmannskost zu essen, aber in Luxemburg schätzen die Einwanderer das kleine Stück Heimat in der Seitenstraße des Bahnhofviertels.
Auch Mike schwelgt in Erinnerungen, wenn er an Russland denkt. Die Großmutter des Luxemburgers kam in der ehemaligen Sowjetunion zur Welt. In der Heimat seiner Vorfahren war er jedoch noch nie. Das soll sich bald ändern, eine Reise nach St. Petersburg ist in Planung. Bis dahin begnügt sich der Stammgast damit, Kappe und T-Shirt der «Sbornaja» (Russisch für Auswahlmannschaft) zu tragen.
Jubel bei drei Toren
Ludmila sorgt sich um ihre Gäste und kennt die meisten aus dem Effeff. Die Kneipenbesitzerin stammt aus Tschussowoi, einem Städtchen im Vorland des Uralgebirges, das vor allem für seine Metallindustrie bekannt ist. Doch die Familie blieb nicht lange dort. Der Vater, ein Ingenieur, und die Mutter wurden nach Moldawien versetzt, so wie es in der Sowjetunion zu dieser Zeit oft üblich war. Ludmila verbrachte ihre ganze Jugend dort, arbeitete in einer Kleiderboutique, heiratete später einen Franzosen und siedelte 2003 nach Luxemburg über. Zunächst war sie als Bedienung in der «Brasserie de la Place» angestellt, später übernahm sie die Kneipe. Seit Anfang an ist ihre Kundschaft gemischt. Es ist keineswegs eine Art russische Exklave.
Am Dienstag zählte auch Oleg (Name von der Redaktion geändert) zu den Gästen, die sich die WM-Partie ansahen. Der Mittfünfziger kam vor rund 20 Jahren ins Großherzogtum und arbeitete vor allem im Bankenwesen. Eigentlich ist er Eishockey-Fan – so wie die meisten Russen. «Fußball schaue ich mir nur bei Großevents an. Es ist erstaunlich, dass die russische Mannschaft derzeit so stark ist. Damit hätte keiner gerechnet, aber wir genießen den Moment, solange es gut läuft, denn die ‹Sbornaja› hat uns schon so einige Male enttäuscht.»
Eher überrascht wirkten die Gäste dann auch beim Führungstor der Russen gegen Ägypten, das 2:0 wurde bereits frenetischer gefeiert, während der dritte Treffer einfach nur Balsam für die russische Seele war.
Weder Smalltalk noch Oberflächlichkeit
Von der Art und Weise der Osteuropäer begeistert sind auch die beiden Luxemburger François und Julien. Der ehemalige Banker und der Anwalt sprechen perfekt russisch. François trägt ein schwarzes Shirt mit dem Konterfei von Sergei Sergejewitsch Bodrow mit dem Filmzitat: «Worin liegt die Macht, Bruder?» Bodrow war Anfang der 2000er einer der vielversprechendsten Regisseure des neuen russischen Kinos und kam 2002 mit gerade einmal 31 Jahren bei Dreharbeiten im Nordkaukasus durch ein Lawinenunglück ums Leben.
«Die Antwort darauf, worin die Macht liegt, ist nicht ganz einfach. Wenn Westeuropäer diese Frage gestellt bekommen, lautet die Antwort oft Geld. Laut Film liegt die Macht jedoch in der Wahrheit. Und dieses Zitat spiegelt für mich die russische Seele wider», erklärt François und fügt an: «Ich mag weder Smalltalk noch Oberflächlichkeit. Die Russen, die ich kennengelernt habe, waren oft belesen, hatten viel zu erzählen und waren sehr tiefgründig. Sogar der dümmste Russe hat einmal in seinem Leben Bücher von Dostojewski gelesen.»
Tiefgründige Diskussionen zu heiklen Themen werden im «Russian Café» jedoch eher umgangen. Weder die Kontroversen um die Vergabe der Weltmeisterschaft noch die Milliardenausgaben Russlands für ein Sportevent und schon gar nicht die verschiedenen Krisenherde werden thematisiert. Die Gäste, das Personal und die Chefin konzentrieren sich auf das Positive. «Es ist eine sehr gute Sache, dass Russland es geschafft hat, die Weltmeisterschaft zu holen, auch wenn man dafür viele Milliarden investieren musste. Es ist eine sehr gute Sache für das Volk. Kritik wird es immer geben, aber Putin macht einen guten Job und hat das Land in puncto Infrastruktur nach vorne gebracht. Innerhalb der Kneipe ist Politik jedoch nur selten ein Thema», erklärt Ludmila.
90 Minuten später ist der zweite russische Sieg bei dieser Weltmeisterschaft unter Dach und Fach. Die Gäste klatschen, im Hintergrund läuft «We Are the Champions» von Queen.
Und um alle Klischees zu erfüllen, hebt ein älterer Herr kurz nach Abpfiff ein Wodka-Glas in die Luft und blickt selbstzufrieden auf die kleinen Matroschka-Püppchen, die auf einem Schrank hinter der Bar wie Wachmännchen postiert sind.
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