Tageblatt: Trainingslager inklusive sind seit Dienstagabend drei Wochen Nationalmannschaft vorbei. Sie mussten vier Spiele vorbereiten und die Erholung fast täglich steuern. Das war auch für Sie eine ungewohnte Situation. Wie fühlen Sie sich?
Luc Holtz: Normalerweise brauche ich zwei Tage, um herunterzukommen. Meine Frau denkt immer, dass ich nach der Nationalmannschaft nach Hause komme und hier volle Leistung bringen kann (lacht). Aber ich falle nach diesen Tagen immer in ein Loch. Die mentale Müdigkeit ist extrem vorhanden. In den drei Wochen mit der Mannschaft habe ich wenig und unruhig geschlafen. Das hängt damit zusammen, dass ich mir dauernd Gedanken mache, welche Spieler ich aufstellen soll, wie das Training gesteuert werden soll und welche Taktik wir anwenden werden. Wenn man als Trainer seinen Job ordentlich machen will, ist das sehr stressig. Es steckt mehr dahinter als nur elf Männer auf dem Platz zu schicken, die einem Ball hinterherlaufen. Ich habe noch vorher meinem Trainerteam gedankt für die tolle Arbeit, die sie in den vergangenen Wochen geleistet haben. Der erste Gedanke nach meiner kurzen Pause ist aber, was wir noch besser machen können.
Trotz den zwölf Jahren Erfahrung als Nationaltrainer haben auch Sie in dieser Phase wohl etwas hinzugelernt. Gibt es rückblickend Sachen, die Sie hätten besser machen können?
Aktuell sehe ich noch keine großen Sachen, die wir hätten besser machen können. In puncto Trainingssteuerung, Regeneration und Taktik haben wir vieles richtig gemacht. Leistungsmäßig haben wir uns in jedem Spiel gesteigert – das ist ein weiteres Indiz dafür, dass nicht allzu viel falsch gemacht wurde. Eine der Schwierigkeiten besteht immer wieder darin, die Spieler auf ihre Aufgabe in der Nationalmannschaft einzustellen. Ich nehme das Beispiel Dirk Carlson. Sein Trainer in Aue verlangt mit Sicherheit ganz andere Sachen von ihm als ich. Zudem lasse ich anderen Fußball spielen als im Verein. Das muss erst mal jeder wieder verinnerlichen.
Obwohl die Belastung durch die vier Spiele innerhalb von elf Tagen sehr hoch war, haben Sie nur wenige Veränderungen in der Startelf vorgenommen. Hätten Sie mehr wechseln können oder war mehr einfach nicht drin?
Durch den verletzungsbedingten Ausfall von Olivier Thill und Laurent Jans sind schon mal zwei Optionen weggefallen. Wären sie dabei gewesen, hätte ich mit Sicherheit mehr drehen lassen. Sébastien Thill plagte sich in den vergangenen zwei Monaten mit einer Schulterverletzung herum und hat kaum gespielt. Enes Mahmutovic hat seit März keine Partie mehr bestritten. Diese Spieler können nicht einfach den Knopf drücken und dann einfach in Topform sein. Das braucht seine Zeit. Gegen die Färöer Inseln war Vincent Thill in der Startelf vorgesehen und auch Enes Mahmutovic wäre ein Kandidat für eine Einwechslung gewesen. Beide erkrankten jedoch vor dem Spiel. Insgesamt ist der Niveau-Unterschied auf manchen Positionen schon noch sehr groß. Spieler wie Christopher Martins, Leandro Barreiro oder Mathias Olesen sind ihren Mitspielern in puncto Gedankenschnelligkeit, taktischem Verhalten und technischer Präzision doch noch einen Schritt voraus.
Sieben Punkte sind die Ausbeute aus den vier ersten Spielen. Bei günstigerem Verlauf hätten es neun sein können. Können Sie sich damit zufrieden geben?
Direkt nach dem Unentschieden gegen die Färöer Inseln war ich natürlich frustriert, da wir diese Partie hätten gewinnen können. Mein Ziel war es, nach den vier ersten Partien auf dem zweiten Platz zu stehen, und das ist uns gelungen. Was das Niveau, die Ballzirkulation und die Dominanz angeht, haben wir uns von Gegnern wie Litauen und den Färöer Inseln abgesetzt. Wir müssen aber so ambitioniert sein und sagen, dass wir alle Spiele gegen diese Gegner gewinnen wollen. Das geht aber nicht von alleine, das hat man gesehen. Auf den Färöer Inseln wird gute Arbeit geleistet und wir sind nicht der erste Gegner, der Probleme gegen diese Mannschaft hatte.
Ich denke, dass auch wir ihm so einiges bieten können. So wie wir mittlerweile Fußball spielen, würde er sich die Finger lecken.
Gezwungermaßen spielen Sie meistens ohne richtigen Mittelstürmer. Ist eine Lösung dieses Problems in Sicht?
Es ist ein fehlendes Puzzleteil. Gerson Rodrigues kann dem Gegner durch seine Schnelligkeit sehr wehtun. Er ist aber der einzige Spieler, der das kann. Es ist auch schwerer, gegen einen solchen Spielertyp zu verteidigen, als gegen einen Stürmer, der auf Bälle wartet. Spieler wie Dany Mota oder David Jonathan könnten uns im Sturm helfen.
Wie ist der Stand der Dinge bei den beiden?
Einige Spieler haben Dany Mota kontaktiert, konnten ihn aber noch nicht davon überzeugen, für Luxemburg zu spielen. Er will den kommenden Mercato abwarten und sich danach vielleicht entscheiden. Aber das höre ich bereits seit ein paar Jahren. Irgendwann ist er aber 30 Jahre alt … Dany hofft noch immer, eines Tages für Portugal spielen zu können. Ich denke aber, dass auch wir ihm so einiges bieten können. So wie wir mittlerweile Fußball spielen, würde er sich die Finger lecken. Gerson Rodrigues und er würden den Gegnern extrem wehtun. Wir haben zudem viele Mitspieler, die beide mit Vorlagen füttern könnten. Auch David Jonathan hat sich noch nicht entschieden. Vergangene Saison hat er eher wenig für die U19 von Bayern München gespielt. Aus dieser Ausgangsposition ist es noch ein langer Weg bis hin zur niederländischen Nationalmannschaft.
Einige Ihrer Spieler stehen vor einem richtungsweisenden Sommer für ihre Karriere. Wie zuversichtlich sind Sie, dass Sie im kommenden September über mehr Spieler verfügen werden, die Stammspieler in ihren Vereinen sind?
Insgesamt müssen wir in der Breite besser aufgestellt sein, um den nächsten Schritt zu machen. Ich bräuchte 23 Spieler, die zu jedem Moment reinkommen können. Maurice Deville hat bei seinem Einsatz zum Beispiel deutlich der Rhythums gefehlt, weil er seit Monaten in Sandhausen nur von der Bank kam. Abzuwarten bleibt, wie es für Mica Pinto und Laurent Jans bei Sparta Rotterdam weitergeht. Ein Fragezeichen steht auch hinter der Zukunft von Dirk Carlson, Oliver Thill, Sébastien Thill, Vincent Thill, Vahid Selimovic oder auch Gerson Rodrigues. Ob man Stammspieler wird, hängt sehr viel vom Trainer ab. Das beste Beispiel dafür ist Danel Sinani. Bei Waasland-Beveren hat er keine herausragende Rolle gespielt. Ein Jahr später in Huddersfield ist er zu einem ihrer wichtigsten Offensivspieler geworden.
Wird Mathias Olesen Ihrer Meinung nach beim Bundesligisten 1. FC Köln in dieser Saison seine Chance bekommen?
Mathias hat eine außerordentlich gute Saison hinter sich und sich stark entwickelt. Er ist athletisch, intelligent und hat ein stark ausgeprägtes taktisches und kollektives Denken. Deshalb wird er auch in Deutschland geschätzt. Ich habe ein gutes Gefühl und denke, dass er in Köln seine Chance erhalten wird. Einige Klubs wollten ihn ausleihen, bis jetzt hat Köln immer abgelehnt. Das deutet darauf hin, dass sie auf ihn setzen und dass er kommende Saison eine Rolle in der Bundesliga spielen könnte.
Gerson Rodrigues muss sich im kommenden Sommer wohl wieder einen neuen Klub suchen.
Bei ihm ist das Land und die dazugehörige Kultur sehr wichtig. Gerson ist ein Spieler, der sehr emotional reagiert, und das klappt nicht in jedem Verein. Ab und zu muss man ihm ein paar Freiheiten geben, dann gibt er auch etwas zurück. Das muss allerdings in einem gesunden Rahmen bleiben und darf die Mannschaft nicht stören. Kiki Martins hat mir kürzlich gesagt, dass er genauso war und deshalb auch versteht, wie Gerson tickt. Bei Kiki sieht man, wie sich die Persönlichkeit eines Spielers entwickeln kann. Vor allem während seiner langen Verletzungspause hat er in dieser Hinsicht einen sehr großen Sprung nach vorne gemacht.
Mit Torwart Lucas Fox, Mittelfeldspieler Diogo Pimentel und den beiden 17-jährigen Talenten Fabio Lohei und Sofiane Ikene haben Sie vor drei Wochen vier Spieler ohne Länderspiel nominiert. Wie sehen Sie ihre Entwicklung?
Für Diogo tut es mir wirklich leid, dass er nicht zum Einsatz gekommen ist. Er legt eine super Mentalität an der Tag, hat sich in den vergangenen sechs Monaten in Dänemark weiterentwickelt und ist ein sehr akribischer Arbeiter. Ich würde ihn gerne einmal über 90 Minuten einsetzen und hoffe, dass er irgendwann den Sprung ins richtige Profitum schafft. Lucas ist ein sehr interessanter Torwart, der hoffentlich aus seinen Fehlern lernen kann, die er in der BGL Ligue gemacht hat. Er will sich in den kommenden Monaten auf sein Spiel mit dem Fuß konzentrieren. Er ist sehr ehrgeizig, das ist gut. Fabio ist der U17-Nationalspieler mit dem meisten Spielwitz. Seine Bewegungen sind sehr flüssig und er beherrscht den Ball bei hohem Tempo sehr gut. Körperlich muss er sich noch weiterentwickeln. Vor Sofiane ziehe ich den Hut. Er hat die letzte Viertelstunde sehr gut gemeistert. Als Maxime Chanot verletzt ausfiel, war er der letzte verbliebene Innenverteidiger. Es ist nicht einfach, in seinem Alter diesem Druck standzuhalten, aber er hat das sehr gut gemacht. Sofiane bringt Persönlichkeit und Sicherheit mit. Es ist für mich unverständlich, warum er noch nicht in einem ausländischen Leistungszentrum spielt.
Platz zwei könnte für mehr reichen
Mit etwas Glück kann Luxemburg noch an den Play-offs zur Europameisterschaft 2024 teilnehmen. Drei Teilnehmer werden nämlich durch ein Turnier ermittelt, an dem zwölf Nationalmannschaften teilnehmen. Die vier Gruppensieger der Division C spielen um ein Ticket. Ist einer dieser Verbände bereits für die EM qualifiziert (über die reguläre EM-Quali), rückt der beste Zweitplatzierte nach. Derzeit steht die FLF-Auswahl in diesem Ranking auf Platz eins und die Chancen, dass z.B. die Türkei sich direkt für die EM qualifiziert, stehen auch nicht schlecht. „Die Türkei wird es schaffen, davon bin ich überzeugt. Sie sind stärker als die meisten Mannschaften in der Division B“, urteilt Luc Holtz.
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