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FLF-AuswahlElf Gründe müsst ihr haben: Als das Tageblatt auf der Alm nach einem Brasilianer suchte 

FLF-Auswahl / Elf Gründe müsst ihr haben: Als das Tageblatt auf der Alm nach einem Brasilianer suchte 

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„Schwärzeste Stunde“, „kollektiver Offenbarungseid“, „Fassungslosigkeit“ oder auch „Ohnmacht nach einer weiteren Demütigung“: Das waren die Titel der damaligen Sportjournalisten des Tageblatt, Philip Michel und Christophe Junker, als es darum ging, beide Debakel gegen Liechtenstein in Worte zu fassen. Vor dem EM-Qualifikationsduell gegen das Fürstentum am Samstag um 15.00 Uhr blätterte das Expertenduo noch einmal gemeinsam im Zeitungsarchiv. Welche Geheimnisse 18 Jahre später aufgedeckt wurden und warum auf einer Alm nach einem Brasilianer gefahndet wurde – der etwas andere Rückblick.

Vom erbosten M-Block, der sich mit „Dir sidd sou lächerlech“ beim 0:4 im eigenen Haus rächte, über die Entlassung von Nationaltrainer Allan Simonsen bis hin zu einer überflüssigen Pirouette, die das 0:3 auswärts einleitete: An die Fakten der beiden WM-Qualifikationsspiele gegen Liechtenstein erinnerten sich Philip Michel und Christophe Junker auch über 18 Jahre später noch immer. Weitaus weniger bekannt waren allerdings ihre Anekdoten, die es damals nicht in die Zeitung geschafft hatten. 

Angefangen mit einem Grundstein, der bereits 1999 bei den Spielen der kleinen Staaten in Vaduz gelegt worden war. Dort hatten die Sportjournalisten erste Kontakte mit der lokalen Presse geknüpft, was sich beim „Zwergenduell“ fünf Jahre später auszahlen sollte: „Ich war bei den JPEE nicht dabei, aber die Freundschaft wurde 2002 beim Testspiel gegen Liechtenstein vertieft“, beschrieb Philip die längeren Abende nach getaner Arbeit.

Auf dem Platz hatte sich die FLF-Auswahl damals aufgrund von zwei Liechtensteiner Platzverweisen in Hesperingen nach einem 0:3-Rückstand noch zu einem 3:3 gerungen. „Das war fußballerisch schon die erste Offenbarung.“ Unvergessen ist auch der kurze Moment der Panik, den man schon vor Anpfiff bei der Liechtensteiner Nationalhymne überstehen musste. Die Luxemburger waren in dieser Hinsicht nämlich gebrannte Kinder, da 1983 beim Galaspiel zum 75. Geburtstag der FLF zwischen Deutschland und Jugoslawien die Hymne des alten, monarchistischen Vorkriegs-Jugoslawiens ertönte und die Partie aufgrund eines Protestes der jugoslawischen Mannschaft erst mit Verspätung angepfiffen wurde: „Ich hatte schon befürchtet, man hätte sich wieder vertan, als dieselbe Tonalität als ‚God save the Queen’ zu hören war. Die Kollegen haben uns dann aber aufgeklärt.“

Nach der 0:4-Niederlage gegen Liechtenstein kam es zu einer memorablen Pressekonferenz

Christophe Junker

Das Ergebnis des Freundschaftsspiels war im Nachhinein trotzdem eine Enttäuschung: „Zu Beginn der Amtsperiode von Simonsen wurden unheimlich viele Begegnungen organisiert, mit dem Gedanken, endlich wieder einen Sieg einzufahren. Die Kollegen vom Wort oder Télécran hatten nach dem Rauswurf von Paul Philipp als Nationaltrainer nämlich scharf geschossen.“ Dennoch hielt es den Dänen nur zwei Jahre auf dem FLF-Stuhl. „Nach der 0:4-Niederlage gegen Liechtenstein kam es zu einer memorablen Pressekonferenz“, sagte Christophe Junker. „Wir wussten alle, was kommen würde. Dort saß Guy (Hellers) schon und wartete auf uns.“

Wenige Stunden zuvor hatte Junker damals noch mit Simonsen versucht, auf die Gründe des 0:4 einzugehen. „Er war bestürzt. Er war ja ohnehin eher ein ruhiger Geselle, aber da habe ich ihm jedes Wort aus der Nase ziehen müssen.“ Im Stade Josy Barthel waren die „Roten Löwen“ regelrecht vorgeführt und in Einzelteile zerlegt worden. „Es war damals die Glanzzeit der Liechtensteiner. Sie waren der erste Fußballzwerg, der auf sich aufmerksam machen konnte.“ Vier Tage vor dem Erfolg im Stadion an der Arloner Straße hatte die goldene Generation der Stocklasa und Frick einen 0:2-Rückstand gegen den großen Favoriten Portugal aufgeholt – und damit den allerersten WM-Qualifikationspunkt der Geschichte geholt. 

Man muss wissen, dass sich das Nachtleben in Vaduz auf ganze zwei Pubs beschränkt …

Philip Michel

An dem besagten Oktoberabend 2004 herrschte in Luxemburg eine „Ohnmacht – wir standen alle unter Schockstarre“, fasste Junker die Stimmung zusammen. Bevor man sich einen Tag später auf den „Gang nach Canossa“ (Michel) aufmachen musste, wurde den Liechtensteiner Journalisten aber noch ein Einblick in das Luxemburger Nachtleben gewährt. „Man muss wissen, dass sich das in Vaduz auf ganze zwei Pubs beschränkt …“ 

Ob sich das Tageblatt-Duo Mut antrinken musste, oder doch eher eine betäubende Wirkung erzielen wollte, bleibt auf ewig ein internes Geheimnis. Jedenfalls mussten beide geradestehen für eine Ankündigung, die nie eingetreten war: „Vor dem Heimspiel war eine richtige Aufregung zu spüren. Wir haben uns lange gefragt, was wir uns einfallen lassen könnten …“, berichtete Junker. Und Philip Michel erklärte: „Am Stichtag hatten wir elf Gründe aufgelistet, warum Luxemburg der größere Fußballzwerg sei. Um das wieder geradezubiegen, haben wir dann die elf Gründe nachgereicht, wieso die Liechtensteiner die größeren Zwerge gewesen sind: Jeder Punkt war der Name eines Spielers aus der Startelf. Das Liechtensteiner Volksblatt hat das später aufgegriffen.“

Anruf von der Alm

Das Tageblatt, in der Person von Michel, wurde ein Jahr später erneut an prominenter Stelle im Sportteil der Liechtensteiner präsentiert. Diesmal hatten sich die Journalistenkollegen darauf geeinigt, Gastkommentare zu publizieren. Die Kontakte zu den Liechtensteiner Kollegen öffneten ein Jahr später vor dem Duell in Vaduz mehrere Türen, wie etwa einen Interview-Termin mit Trainer Martin Andermatt. „Den kannte man damals, weil er Ulm in die Bundesliga gebracht hatte“, ergänzte Michel. Junker war derjenige, der über die Partie berichtete. Philip Michel war mit einem Freund privat vor Ort. „Die ersten beiden Nächte verbrachte ich deshalb nicht im Hotel, sondern in einem Schweizer Bergdorf unweit von Vaduz. Der Kollege hatte absolut nichts mit Journalismus am Hut, doch wir haben ihn nach dem Spiel auf den Platz geschickt, um die Reaktionen der Liechtensteiner Spieler einzufangen.“ 

Doch nicht nur der Freund wurde kurzerhand eingespannt, auch für Michel hatte der Aufenthalt wenig mit Urlaubsfeeling zu tun. Auf der Schweizer Alm wurde einen Tag lang herumtelefoniert – um eine mögliche Wahnsinnsgeschichte aufzudecken. „Der Kicker hatte wenige Tage zuvor sein Champions-League-Sonderheft in der Schweiz herausgebracht. Dort stand hinter dem Namen eines Thuner Spielers, er würde neben der brasilianischen auch die luxemburgische Staatsbürgerschaft besitzen. Ich habe über das Festnetz versucht, den irgendwie zu erreichen. Irgendwann bin ich dann endlich bei seinem Manager gelandet, der mir erklärte, dass es sich um eine Ente handelte.“

Das Spiel an sich sei schnell zusammengefasst, meinte Junker nüchtern: „Drei persönliche Fehler. Der erste ging auf die Kappe von Marc Oberweis. Ich glaube, der hat mir nie verziehen, dass ich das geschrieben habe.“ Doch auch für Michel war klar, dass der „Tarzan für die Galerie“ absolut überflüssig war, der zur Ecke führte – die Oberweis dann zu allem Überfluss auch noch unterlief. Demnach hatte nicht nur der Ausgang des Länderspiels (0:3) dafür gesorgt, dass zu später Stunde wieder einmal „Frustsaufen“ angesagt war. „Aber nicht nur bei uns, sondern bei allen angereisten Anhängern.“

Am Samstag werden beide im Fan-Block N anzutreffen sein. Dann könnte vielleicht – aufgrund der Hitze – ein weiteres kühles Bier vonnöten sein. Die ganz Abergläubischen dürfte ein Detail besonders erfreuen: Das „Duo infernale“ von damals zählte abschließend keine elf Gründe auf, warum es diesmal für den ersten Sieg gegen Liechtenstein reichen wird …

Das Programm

EM-Qualifikation, Gruppe J (3. und 4. Spieltag):
Am Samstag um 15.00 Uhr im Stade de Luxembourg: Luxemburg – Liechtenstein
Am Dienstag um 20.45 Uhr in Zenica: Bosnien – Luxemburg