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EditorialDie unterschätzte Gefahr – Europa zeigt sich machtlos gegen die Kreml-Propaganda

Editorial / Die unterschätzte Gefahr – Europa zeigt sich machtlos gegen die Kreml-Propaganda
Kommissionspräsidentin Usula von der Leyen auf einem EU-Gipfel am 27. Oktober Foto: AFP

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Symbolpolitik, die gründlich in die Hose gegangen ist: Mit den Sanktionen gegen die russischen Propagandasender RT und Sputnik hat die EU viel versprochen und wenig gehalten. Sie sind nicht nur ein Paradebeispiel dafür, wie wenig Kontrolle die Politik über die Inhalte hat, die im Internet kursieren. Sie zeigt auch, wie stiefmütterlich Kommission und Nationalstaaten das eigentliche Problem behandeln. 

Mit wenigen Tricks – es reicht eine banale Änderung in den Netzwerkeinstellungen seines Computers – gelangt man problemlos auf die Webseiten von RT und Sputnik. Das ist an sich gar nicht verwerflich. Denn dass die Politik unliebsame Inhalte im Netz sperrt, birgt reichlich moralischen Sprengstoff. Dass man solche politischen Blockaden im Netz relativ einfach umgehen kann, ist eines der basisdemokratischen Prinzipien, die das Netz berechtigterweise hochhält. 

Umgekehrt war es überfällig, dass die EU-Kommission Sanktionen gegen RT und Sputnik verhängt hat. Denn bei den beiden „Medienunternehmen“ handelt es sich nicht um „öffentlich-rechtliche“ Rundfunkanstalten, die zwar vom Staat oder den Bürgern finanziert werden, redaktionell aber unabhängig sind. RT und Sputnik sind reine Ableger der Propaganda-Abteilung des Kreml. Sie versuchen nicht nur, die „Sicht Moskaus“ im Rest der Welt zu vertreten, sondern mischen sich aggressiv in innereuropäische Angelegenheiten ein. Unsere Demokratien werden als kaputt und dysfunktional dargestellt, permanent wird auf die Antagonisten Moskaus eingeschlagen: Sozialdemokraten, Grüne, „Gutmenschen“, Brüssel, die Ukraine. Ihr Ziel ist es, unsere Gesellschaft zu spalten – und uns damit gegenüber dem Kreml zu schwächen. Die mit reichlich Geld finanzierten Staatsmedien sind dabei ein Gegner, der als ernsthafte Gefahr für die Demokratie wahrgenommen werden muss. 

Das Problem an den Mediensanktionen der EU war die Rhetorik, mit der sie verhängt wurden. „In einem nie dagewesenen Schritt setzen wir die Lizenzen für die Propaganda-Maschine des Kreml aus“, sagte Kommissionschefin Ursula von der Leyen. „Russia Today und Sputnik und all ihre Subunternehmen werden nicht mehr in der Lage sein, ihre Lügen zu verbreiten, um Putins Krieg zu rechtfertigen und die Union zu spalten.“ Luxemburgs Premier Bettel sekundierte: RT sei Teil eines „aggressiven militärischen Akts, eine Waffe des russischen Staats und ein integraler Teil in diesem Krieg“. Luxemburg habe sich dafür starkgemacht, eine europäische Lösung zu finden, die es ermöglicht, dass konzertiert gegen die verschiedenen Diffusionskanäle der genannten Gruppen vorgegangen werden kann.

So haben die EU-Chefin – und auch Staatslenker wie Xavier Bettel – etwas angekündigt, was von vornherein eigentlich nicht konsequent durchsetzbar ist. Und RT? Lacht sich ins Fäustchen. 

Wie so oft liegt der Hund woanders begraben: Der deutsche Thinktank Cemas berichtete bereits im November 2022 von erschreckenden Zahlen: Die Zustimmungswerte zu pro-russischen Verschwörungserzählungen rund um den Ukraine-Krieg seien in der deutschen Gesamtbevölkerung seit April 2022 „signifikant“ gestiegen. Anders formuliert: In Deutschland glaubten nach dem Angriff mehr Menschen an Putins Lügen als vor dem Krieg. 

Cemas rät, dass ein umfangreicheres Verständnis von Propaganda und Desinformation entwickelt wird, und fordert eine Debatte, wie „der zunehmenden Flut an Desinformationskampagnen begegnet werden kann“. Desinformation dürfe nicht nur als Informations- oder Sicherheitsproblem verstanden werden. „Es ist ein Angriff auf die Demokratie als solche“, schreiben die Rechercheure. 

Das ist die Diskussion, der sich die EU und alle ihre Mitgliedstaaten endlich stellen müssen. Bevor es zu spät ist.