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KolumneDie Erlösung: Petz Lahure über den Sieg auf Malta heute vor 25 Jahren

Kolumne / Die Erlösung: Petz Lahure über den Sieg auf Malta heute vor 25 Jahren
Nach dem Sieg der „Roten Löwen“ auf Malta war die Freude riesig Fotos: 100 Joer FLF

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Die Geschichte beginnt eigentlich in Brüssel. Wir schreiben den 27. Februar 1991. Paul Philipp, der Trainer der Luxemburger Fußball-Nationalmannschaft, sitzt in einer Hotelbar im Herzen der Europa-Hauptstadt und denkt über das Angebot nach, das ihm die Vertreter eines renommierten belgischen Klubs eben unterbreitet haben. Philipps Mannschaft hat Stunden zuvor im Constant-Van-den-Stock-Stadion, wo der RSC Anderlecht beheimatet ist, das EM-Qualifikationsspiel gegen Belgien mit 0:3 verloren.

Dilemma

Rund 5.000 Luxemburger Fans waren nach Brüssel gekommen, um ihr Team zu unterstützen – mit dem eigenen Wagen, dem Bus oder dem Sonderzug, den die CFL organisiert hatte. Der Hype um die rot-weiß-blaue Mannschaft war vier Monate zuvor nach der unglücklichen 2:3-Niederlage gegen Weltmeister Deutschland entstanden. Kurze Zeit später verlor Luxemburg auf ähnlich tragische Art und Weise 0:1 gegen Wales, wobei ein diskutabler Elfmeter gegen Ende der Partie den Walisern zum Erfolg verhalf.

Mit der Achtung, die der Luxemburger Mannschaft Anfang der Neunzigerjahre europaweit entgegengebracht wurde, wuchs auch die Popularität von Paul Philipp. In Belgien und insbesondere in Brüssel, wo er bei der Royale Union Saint-Gilloise (1970-1974, 1976-1980) den größten Teil seiner Karriere als Spieler absolviert hatte, kannte ihn ohnehin jeder Fußballinteressierte.

Irgendwie schien das Schicksal es so gewollt zu haben, dass er nun hier, in dieser Stadt, entscheiden musste, wie es mit ihm und dem Luxemburger Fußball weitergehen sollte. Für Philipp ein Dilemma: Entweder den Sprung in die belgische Profiliga wagen oder doch lieber im Großherzogtum bleiben, wo er sechs Jahre zuvor ein ambitioniertes Projekt angefangen hatte, um den Lieblingssport der Nation nach vorne zu bringen.

 Umdenken

Philipp bittet um Bedenkzeit und sagt dem belgischen Renommierklub wenig später ab. Ehe er aber die Unterschrift unter eine Vertragsverlängerung beim Luxemburger Verband setzt, fordert er ein Umdenken in den Köpfen der FLF-und der Vereinsverantwortlichen sowie der zuständigen Politiker. Auch müht er sich redlich ab, die Arbeitgeber der Nationalspieler zu involvieren und in manchmal mühsamen Gesprächen vom Projekt zu überzeugen. Nach und nach nimmt auf diese Weise das sogenannte „Luxemburger Fußballmodell“ Gestalt an.

Die Spieler treffen sich Woche für Woche dienstagabends zu einem ersten Training und verbringen bei bezahltem Urlaub („congé sportif“) den ganzen Mittwoch miteinander, wobei zwei zusätzliche Trainingseinheiten anstehen.

Recht bald ist Paul Philipp der Coach auf der Welt, der seine Spieler am öftesten beisammen hat. Das „Modell“ ruft Neider auf den Plan, verschiedene Vereinspräsidenten und -trainer bekämpfen es heimlich, manchmal aber auch mit offenem Visier und in der Öffentlichkeit wird immer wieder bemängelt, dass die sportlichen Resultate in keinem Verhältnis zum finanziellen Aufwand stehen.

 Jetzt oder nie

Als die Auslosung der Qualifikation zur EM 1996 Luxemburg in eine Gruppe mit den Niederlanden, Tschechien, Norwegen, Weißrussland und Malta lost, wächst der Druck enorm an. Die „Vox populi“ fordert den Erfolg: „Wenn nicht gegen Malta, gegen wen dann?“, lautet das Credo.

Man muss die Siebziger-, Achtziger- und frühen Neunzigerjahre erlebt haben, um überhaupt verstehen zu können, welche Bedeutung dieses Spiel damals für den einheimischen Fußball hatte. Luxemburg war seit dem 22. Oktober 1972 (2:0-Sieg über die Türkei) in keinem offiziellen Spiel (WM oder EM) mehr als Gewinner vom Platz gegangen. Mit Paul Philipp als Trainer (erstes Spiel im Herbst 1985) wurde zwar ab und zu ein Punkt geholt (Schottland 0:0, Belgien 1:1, Island 1:1), auch gab es immer wieder „heroische Niederlagen“ (u.a. das 2:3 gegen Weltmeister Deutschland), doch zu einem Sieg reichte es nicht.

Weil die Spieldaten damals noch gemeinsam von den verschiedenen Verbänden festgelegt wurden, pochte Paul Philipp darauf, die Begegnung auf Malta gleich nach der Winterpause zu planen. Das hatte für Luxemburg den Vorteil, dass der Coach seine Truppe über einen Monat lang unter profihaften Bedingungen vorbereiten konnte.

Endlich

Die Trainings begannen am 3. Januar 1995 im INS. In den Wochen vor Malta bestritt die Mannschaft u.a. drei Testbegegnungen gegen den 1. FC Saarbrücken, den FC Basel und Fortuna Köln. Danach durften sich die Spieler während eines Trainingslagers im Nahen Osten mit den im Winter auf Malta herrschenden milden Temperaturen anfreunden. Zudem wurde am 14. Februar ein Freundschaftsspiel in Israel (2:4, beide Tore Roby Langers) ausgetragen, bei dem ersichtlich wurde, dass die Mannschaft sich der Topform näherte.

Acht Tage später gelang der große Coup. „Malta humiliated by Luxembourg“ überschrieb The Times aus La Valletta ihren Artikel. An die 70 mitgereiste Fans gerieten aus dem Häuschen. RTL Télé Lëtzebuerg übertrug live, die Luxemburger Presse war auf Studienreise und mit 30 Mann vor Ort.

Spieler und Coach durften stolz sein auf diesen Sieg, der ihnen nicht in den Schoß gefallen war. Nach dem Tor von Manou Cardoni war zum Schluss sogar alles in Frage gestellt, als Carlo Weis im Strafraum angeschossen wurde und der kroatische Schiedsrichter Matéo Beusan auf den Elfmeterpunkt zeigte. Keeper Paul Koch aber konnte den Ball beim Schuss von Busuttil an den Pfosten lenken.

 Diszipliniert

Fast ein Vierteljahrhundert hatte die Nation auf dieses Erfolgserlebnis warten müssen. Skeptiker, Zweifler und andere Schwarzmaler prophezeiten es frühestens für die Jahrtausendwende, nicht aber schon für das Auswärtsspiel auf Malta.

Dass alles anders kam und erfreulicherweise auf positive Manier für die Luxemburger Mannschaft, hatte verschiedene Ursachen. Ganz schnell wurde ersichtlich, dass Philipps Team diese Malteser, deren Verteidigung eine ständige Gefahr fürs eigene Tor war, nicht zu fürchten brauchte. Die ausgezeichnete taktische Einstellung und die disziplinierte Spielweise drängten Luxemburg frühzeitig und unverhofft in eine offensive Rolle. Malta, das ja wie Luxemburg in den meisten Spielen vorrangig mit Defensivaufgaben beschäftigt ist, brachte es nicht fertig, wenigstens einmal auf Angriff umzudenken und umzuschalten, was den Berichterstatter der The Times zu folgender Schlussfolgerung veranlasste: „It seems as if Luxembourg were the Netherlands playing against Malta … so poor was the Malta side.“

Unerreicht

Wenn von Luxemburger Sternstunden im internationalen Fußballgeschäft die Rede geht, wird vorrangig an die EM gedacht, bei der das FLF-Team es um ein Haar unter die letzten vier Nationen geschafft hätte. Damals, im Herbst 1963, wurden die Niederlande ausgeschaltet (1:1, 2:1), ehe die Mannschaft mit dem roten Löwen auf der Brust nach zwei Unentschieden (3:3, 2:2) in einem dritten Spiel (0:1) an Dänemark scheiterte.

Mindestens ebenso hoch wie die Leistung des Teams aus den Sechzigerjahren aber müsste der „Exploit“ der Mannschaft aus den Neunzigern eingestuft werden, die es in den Ausscheidungen im Hinblick auf die EM 1996 fertigbrachte, zehn Punkte zu holen. Diese Zahl bleibt bis heute unerreicht.

Neben den beiden Siegen gegen Malta (jeweils 1:0) und dem Unentschieden gegen Weißrussland (0:0) wurde die Tschechische Republik geschlagen, die mit sieben „Legionären“ nach Luxemburg gekommen war. Im Dauerregen an der Arloner Straße reichte es für die Tschechen nur zur Guinness-Buch-reifen Ausbeute von 23:1 Eckbällen. Das Tor aber erzielten die Luxemburger durch Guy Hellers, der nach einer über Birsens, Cardoni und Langers gelaufenen Aktion unhaltbar einschoss.  

Solidarität

Bis zur Endrunde der EM in England erholten sich die Tschechen von diesem Schock. Sie schafften es sogar bis ins Finale, wo sie erst in der Verlängerung durch ein „Golden Goal“ von Oliver Bierhoff an Deutschland scheiterten.

Der Grundstein für die zehn EM-Punkte aber wurde am 22. Februar 1995 im „Ta ’Qali National Stadium“ gelegt, wo Manuel Cardoni mit seinem Tor die 22 Jahre und 4 Monate dauernde Negativserie  der rot-weiß-blauen Mannschaft durchbrach.

Dem Coach fiel ein Stein vom Herzen. Das sogenannte Luxemburger Modell, das er mühsam aufgebaut hatte, stand auf der Kippe und wäre ohne diesen Erfolg wie ein Kartenhaus zusammengefallen. Der Sieg war das Ergebnis einer monatelangen Solidarität und eines beispielhaften Teamgeistes, wobei ein jeder wusste, um was es für den Luxemburger Fußball ging. Ein Vierteljahrhundert danach bleiben bei Ihrem Kolumnisten die Erinnerungen wach. Malta ’95 war ein Meilenstein in der Luxemburger Fußballgeschichte …

Beim 1:0-Sieg auf Malta spielte Luxemburg mit Paul Koch, Jean Vanek, Frank Deville, Marc Birsens, Thomas Wolf, Jeff Saibene, Guy Hellers, Carlo Weis, Roby Langers (88. Sascha Schneider), Manou Cardoni (83. Luc Holtz), Joël Groff.

Foto v.l.n.r., stehend: Koch, Wolf, Hellers, Saibene, Birsens, Vanek; kniend: Langers, Cardoni, Groff, Weis, Deville
Foto v.l.n.r., stehend: Koch, Wolf, Hellers, Saibene, Birsens, Vanek; kniend: Langers, Cardoni, Groff, Weis, Deville