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Sie spielen ja nur

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Luxemburger sind im Schnitt mehr als zweieinhalb Mal so vermögend wie der europäische Durchschnittsbürger. Dennoch schäumt es auch hier nicht gerade vor Freude und Glück.

Der Gesellschaft scheint es an Schwung, an Kreativität, an Lust zu fehlen. Dafür hört man viel Gejammer, über die viele Arbeit, das schlechte Wetter, die schweren Zeiten. Das ist auch irgendwie verständlich, schließlich ist Kriiiiise.

Janina Strötgen jstroetgen@tageblatt.lu

Geld macht nicht glücklich, das wissen wir schon lange. Und auch wenn Luxemburg von den finanziellen Folgen der Krise viel weniger betroffen ist als viele seiner europäischen Nachbarn, ist auch Luxemburg in der Krise. Die europäische Bewusstseinskrise macht auch vor den Grenzen ins Großherzogtum nicht halt. Offene Grenzen für Geld, offene Grenzen für Krisen. So ist das in Europa.

Damals, 1992 etwa, als der Euro in Maastricht als „Gemeinschaftswährung“ beschlossen wurde, da war die Stimmung deutlich besser, gar euphorisch. Es mussten noch keine Banken gerettet und Märkte beruhigt werden. Vielmehr kümmerte man sich um die Organisation von europäischen Theaterfestivals und Ringvorlesungen über Europavisionen. Man sprach damals überhaupt sehr gerne von Kultur. Gemeinsamer natürlich. Man tat so, als sei sie das Fundament, das alles zusammenhält. Man wollte daran glauben. An eine gemeinsame europäische Identität. Dank gemeinsamer kultureller Wurzeln.

Heute ist das anders. Heute scheint die Kultur nicht einmal mehr gut genug für Festtagsreden zu sein. Die größte kulturelle Veranstaltung in Europa ist der „Eurovision Song Contest“. Und der fand in diesem Jahr in Aserbaidschan statt.

Aber auch die Kultur selbst scheint sich nicht sehr für Europa zu interessieren. Wo sind die Intellektuellen und Künstler, die die Krise als Herausforderung sehen? Wenn es sie denn gibt, dann sind sie zu leise.

Der emotionale Wirklichkeitsbezug zu Europa ist uns abhandengekommen – „wie manchen Leuten ein Stock oder Hut“, würde Erich Kästner sagen. Die Abhängigkeit der Politik von den unsichtbaren Finanzmärkten, das meist hilflos und verloren wirkende Krisenmanagement unserer Führungskräfte, der rhetorische Einheitsbrei auf den politischen Bühnen – all das entfremdet uns von der Welt, in der wir leben.

Das, was wir früher als Wirklichkeit wahrgenommen haben, wirkt heute nur noch wie eine schlechte Inszenierung, wie eine „mediale Fratze mit ferngesteuerten Darstellern“ (Esther Slevogt, nachtkritik.de). Nichts scheint mehr echt zu sein. Und das Reale – die spanischen Banken werden gerade mit 62 Milliarden Euro gerettet – scheint unwirklich.

Kunst darf scheitern

Wenn nun aber die wahrgenommene Wirklichkeit wie großes Theater wirkt, was passiert denn dann im wirklichen Theater? Schlummert in dem heutigen Durcheinander nicht eine riesige Chance für die Kunst? Wenn sie es denn schaffen könnte, das heutige Bewusstsein einzufangen und in immer wieder neue Bilder zu transportieren. Wenn sie weiter fantasieren würde, was aus Europa werden und welche Kräfte die Krise freisetzen könnte. Wenn sie Horrorszenarien an die Wand malen würde …

Kunst kann spiegeln, erinnern, infrage stellen, aber sie kann auch mit in der Resignation versinken. Kultur kann verbinden, Kultur kann aber auch trennen.

Europa braucht ein starkes Theater, Kunst und Kultur. Und zwar, weil Kunst von ihrem Wesen her frei ist. Darin liegt ihre Kraft. Sie gehorcht niemandem. Sie muss niemanden retten. Sie darf scheitern. Denn sie hat nichts zu verlieren. Es wird ja nur gespielt.