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Bocksgesang der Finanzen

Bocksgesang der Finanzen
(dpa)

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Sie mochten die Milliardenbeträge, mit denen während der Subprime-Krise jongliert wurde, sie werden die Billionen-Beträge rund um den Libor-Skandal lieben.

Die neuesten Machenschaften des Kasino-Kapitalismus (ja, es gibt ihn noch), welcher die Welt mal wieder an den Rand des Zusammenbruchs führen könnte, handeln diesmal nicht von ultrakomplexen Produkten, über die keiner den Überblick behält. Der Betrug, der die Londoner City gerade erschüttert und in Bälde globalere Kreise ziehen dürfte, könnte banaler nicht gestrickt sein.

Sascha Bremer sbremer@tageblatt.lu

Es geht um Zinsmanipulation. Zwölf Großbanken liefern täglich im Vertrauen (also ohne Kontrolle) Daten für den Interbanken-Zinssatz Libor (London Interbank Offered Rate). Dieser dient als Referenz für Geldgeschäfte (Kredite, Derivate usw.) in einem Volumen von 800 Billionen Dollar und wird seit Jahren unter anderem von der Barclays manipuliert.

Es braut sich da was zusammen, im faulen Königreich der Londoner City. Die Konsequenzen sind kaum abzusehen. Man könnte jetzt Schadenfreude aufkommen lassen, da in erster Linie die Banken selber den meisten Schaden davontragen. Und das auf mehreren Ebenen. Zum einen, weil die Kunden, die etwa Libor-gebundene Anleihen – oder andere Produkte – der Großbanken gekauft haben, wohl gegen diese Banken prozessieren. Zum anderen wurden Finanzinstitute, die nicht den Libor-Satz mitbestimmen, auch betrogen. Sie haben Barclays und Co. dadurch Geld zu billigeren Konditionen geliehen.

Es gab aber auch Gewinner. Da wären natürlich die Großbanken, die sich am Betrug beteiligt haben. Entweder konnten sie wie Barclays ihre Bonitätslage verschleiern oder sie nutzten die Manipulation zu spekulativen Geschäften. Es laufen mittlerweile Ermittlungen gegen
20 Großbanken, darunter die Deutsche Bank, die UBS, die Royal Bank of Scotland.

Aber auch die – vielleicht auch Sie lieber Leser –, welche z.B. durch diesen Betrug, ohne es zu wissen, günstigere Kreditbedingungen bekamen, zählen zu den „Gewinnern“. Während Barclays und Co. belangt werden können – und wohl auch werden –, ist bei letzterer „Kategorie“ rechtlich gesehen wohl kaum etwas direkt zu holen. Laut The Economist dürfte die chose die Bankenindustrie Zigmilliarden Dollar kosten.

Allerdings befinden wir uns ja, was die Großbanken angeht, immer noch in einer „too big to fail“-Welt. Das heißt, die Staaten – also die Bürger – werden gegebenenfalls einspringen müssen, sollte eine dieser Banken vorm Bankrott stehen. Kommt einem bekannt vor. Vielleicht wird dieser Skandal aber auch wie die vorherigen irgendwie gehandhabt werden und alles läuft „normal“ weiter bis zum nächsten großen Knall. Darin läge dann die Tragik dieses Kasino-Kapitalismus, welcher sich der Politik bemächtigt hat und unreguliert weiter seine Kreise ziehen kann.

Vertrauen ist eben nicht gut genug

Wenn das durch die „too big to fail“-Banken dominierte Finanzsystem eines gezeigt hat, dann, dass es sich selber nicht regulieren kann. Wie sollte es auch, in einem System, das nach wie vor kurzfristige Gewinne als oberste Ideologie festschreibt? Auf die Manipulation des Libors wird bereits seit 2008 öffentlich hingewiesen; der Betrug selber soll bereits Jahre vor 2005 begonnen haben. Die Hinweise auf die Verstrickungen zwischen Barclays und der Bank of England zeigen, wie tief die politischen Eliten durch die Finanzinteressen unterwandert wurden. Die Kontrollierten sind letztlich bis heute auch Kontrolleure.

Das Vertrauen – sogar zwischen den Banken – ist futsch, es war eh die falsche Basis für die Bankenwelt.