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No satisfaction

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(dpa)

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„Ich möchte lieber sterben, als noch mit 45 ’Satisfaction‘ zu singen“, sagte Mick Jagger Ende der Sechzigerjahre. In ein paar Tagen wird er 69, die Rolling Stones feiern ihr 50-jähriges Bestehen und der Song läuft in den Radiosendern hoch und runter.

Rampensau Mick Jagger ist immer noch nicht befriedigt, und „I Can’t Get No Satisfaction“ keineswegs veraltet. Ganz im Gegenteil. Das in dem Song ausgedrückte Lebensgefühl kennzeichnet unsere Gesellschaft von heute mindestens ebenso wie die USA der Sechzigerjahre. Verändert hat sich lediglich die Reaktion darauf: An die Stelle der Rebellion ist Resignation getreten.

Janina Strötgen jstroetgen@tageblatt.lu

Jaggers zynischer Protest gegenüber der zunehmenden Kommerzialisierung der modernen Welt, in der Radiosprecher unnütze Informationen versenden („A man comes on the radio/he’s tellin’ me more and more about some useless information“) und in der im Fernsehen ein verlogener Werbespot den nächsten ablöst („I’m watchin’ my TV and a man comes on to tell me how white my shirts can be“), war vielleicht damals noch ein Angriff auf sich allmählich etablierende Tendenzen. Ein Wutschrei gegen die in rasantem Tempo zunehmende Kommerzialisierung. Eine Reaktion auf erste spürbare Irritationen in einer Konsumgesellschaft.

Im Porsche Cayenne zum Wertstoffhof

Heute haben wir uns eingerichtet. So scheint es. Einen anderen Motor als den Konsum können wir uns in unserer globalisierten, den Märkten gehorchenden Welt gar nicht mehr vorstellen. Auch wenn manche Spielverderber zwar von „Raubtierkapitalismus“ oder – etwas nostalgisch – von der „Diktatur des Kapitals“ sprechen, sind sich eigentlich alle einig.

Politik, Wirtschaft, Medien, sie alle predigen: Wir brauchen Wachstum! Und wir wachsen.

Allein die Rolling Stones haben bis heute geschätzte 200 Millionen Tonträger verkauft. Und die Bücher, Poster, Schlüsselanhänger und Stofftiere zum 50. Geburtstag werden auch noch mal ein paar Euro mehr in Umlauf bringen.

Das Geld zirkuliert. Ein Europäer besitzt heute im Durchschnitt 10.000 Gegenstände. Bei den meisten ist sicher auch ein Album der Stones darunter. „I Can’t Get No Satisfaction“ hören Generationen von Rockfans, sie toben sich aus, mit der Luftgitarre auf dem Bett.

Doch während die „Kinder der Sechziger“ das Gefühl der Rebellion gegen ihre Eltern und die von ihnen verkörperte leistungsorientierte Aufbaugesellschaft noch als authentischen Protest erlebten, scheint diesem ein diffuses Gefühl von Unzufriedenheit Platz gemacht zu haben. Konsumkritik heute ist meist nicht mehr als Doppelmoral. Schließlich kann man auch in einem Porsche Cayenne zum Wertstoffhof fahren. Ein bisschen Heuchelei reicht aus, um im realen Strom der Konsumgesellschaft mitzuschwimmen.

Und solange man sich auf seinem Platz als Rädchen im System eingerichtet hat, fällt es nicht sonderlich schwer, im Gegenzug auch die Heuchelei der sogenannten „Eliten“ zu tolerieren: die des Wirtschaftsbosses, der seine Selbstbereicherung als Dienst an der Allgemeinheit hinstellt, die der Politikerin, die Wasser predigt und Wein trinkt, die der Werbung, die uns weismacht, Weichspüler mache glücklich, die des Chefs, der uns Leistungen für sein Unternehmen als Selbstverwirklichung verkauft oder die des Bankers, der uns überzeugen möchte, ein Kredit für ein Eigenheim mache frei. Sie wollen doch alle nur unser Bestes.

„I can’t get no satisfaction.“ Wieso denn bloß? Das muss am Sommer ohne Sonne liegen.