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Inkohärent und arrogant

Inkohärent und arrogant
(dpa)

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Es ist wieder Saison. Im Sommer bis in den Spätherbst hinein finden in Spanien wie jedes Jahr eine Unzahl von Stierkämpfen und ähnlichen „Volksbelustigungen“ statt.

Und wie jedes Jahr ist die Empörung groß über eine Veranstaltung, die die Spanier (wenngleich nicht alle) als Teil ihrer Kultur ansehen, die meisten anderen, vor allem Europäer, aber bloß als sinnloses und barbarisches Abschlachten.

Tom Wenandy twenandy@tageblatt.lu

Einige vermeintliche Tierschützer gehen gar so weit und fordern, die Finanzhilfen für Spanien bzw. die hispanischen Banken sogar von einem Verbot der Stierkämpfe abhängig zu machen. Auch wenn man aufgrund unzweideutiger Argumente die verschiedenen Formen der Stierhatz nicht gutheißen kann, drängt sich einem an dieser Stelle dann aber doch die Frage auf, woher diese überkorrekten Kritiker sich das Recht nehmen, andere zu verurteilen, sie gar mit Geld erpressen zu wollen, um ihre eigenen Wertvorstellungen „durchzudrücken“. Vor allem deshalb, weil viele dieser Stierkampfgegner selbst auch nicht immer Rücksicht auf tierische Lebewesen nehmen. Zwar töten sie wohl keine Stiere zum Spaß, doch viele von ihnen essen Fleisch. Fleisch, das in den allermeisten Fällen billig sein und deshalb aus Massentierhaltungen mit den entsprechenden zweifelhaften „Produktionsmethoden“ stammen muss. Das ist natürlich etwas ganz anderes, werden einige jetzt behaupten, hier gehe es schließlich um Ernährung und nicht um bloßes Vergnügen. Aber ist es wirklich etwas anderes? Ist diese Einstellung nicht bloß Ausdruck einer kaum zu überbietenden Inkohärenz, vor allem aber Arroganz gegenüber Andersdenkenden?

Das perfekte System

Darin, anderen Lektionen zu erteilen, sind viele westliche und eben auch luxemburgische Bürger ziemlich gut. Und diese besserwisserische Überheblichkeit geht weit über das oben erwähnte Beispiel des Tieretötens hinaus.

Nehmen wir zum Beispiel unser politisches System, das sich Demokratie nennt. Hierbei handelt es sich laut unserem Verständnis um die freiheitlichste, die gerechteste, einfach die bestmögliche aller Regierungsformen. Entsprechend diesem Maßstab bewerten wir auch alle anderen politischen Systeme dieser Welt. Ob diese in Mittel- oder Südamerika, Afrika oder in Osteuropa bzw. Asien liegen. Alles, was nicht unseren Normen entspricht, ist abnorm und daher abzulehnen, zu bekämpfen und/oder zum „Guten“ zu bekehren. Dass der „alte“ Kontinent aber auch seine Zeit gebraucht hat, sein (manchmal doch recht zweifelhaftes) Staats- und Rechtssystem mit seinen Standards zu erreichen, vergessen wir gerne.

Gerne verschließen wir die Augen auch davor, dass bei uns nicht alles so „aseptisch“ abläuft wie gerne dargestellt wird.

Nehmen wir zum Beispiel die Affäre Wickringen/Liwingen. Auch wenn sich hier vielleicht einige Politiker aus juristischer Sicht nichts vorzuwerfen hätten, so sind verschiedene Verhaltensweisen doch zumindest moralisch und deontologisch zu verurteilen.

Oder erinnern wir an die „Bommeleeër“-Affäre. Hier wird wohl nie Licht ins verfilzte Dunkel kommen.

Eines doch ach so perfekten Landes wie Luxemburg nicht gerade würdig ist auch die Tatsache, dass ein Gesetz mit dem Wissen von Regierung, Parlament und Staatsrat verabschiedet werden kann, das augenscheinlich gegen die Verfassung verstößt. So geschehen mit der neuen Organisation der Justiz. Ob hier bloß ein „Fehler“ unterlaufen ist oder ob hier versucht wird, ganz nach dem Vorbild von autoritären, aber immer gerne angeprangerten Staaten Druck auf die Justiz auszuüben, ist derzeit noch unklar.

Noch ein Beispiel gefällig über die staatliche Funktionsweise hierzulande?

Mitte Mai hat das Parlament eine EU-Direktive „zur Gleichbehandlung der Geschlechter und den diskriminierungsfreien Zugang zu Dienstleistungen“ derart restriktiv umgesetzt (restriktiver als nötig und in den anderen EU-Staaten geschehen), dass rein formal Medien alleine durch die Berichterstattung über diskriminierende Vorkommnisse selbst eine Klage riskieren. Die ADR, die einzige Partei, die das neue Gesetz kritisierte, sprach zu Recht von einer „indirekten Medienzensur“. Im demokratischen und rechtsstaatlichen Luxemburg.

Und die Negativliste ließe sich fortsetzen …

Fazit: Bevor wir uns in Zukunft über andere Länder auslassen (was nicht bedeutet, dass wir menschenverachtende und brutale Regime gutheißen müssen), sollten wir vielleicht kurz darüber nachdenken, ob wir uns wirklich in einer Position befinden, die es uns erlaubt, anderen Lehrstunden zu erteilen. Manchmal wäre es wohl besser, erst einmal vor der eigenen Haustür zu kehren, bevor man mit erhobenem Zeigefinger auf andere losgeht.