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Scheinheilig

Scheinheilig
(dpa)

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Der Name ist sozusagen Programm: „PraenaTest“ heißt der Test, der derzeit in Deutschland für reichlich Diskussionsstoff sorgt. Mit dieser in der Anwendung verhältnismäßig einfachen Blutuntersuchung lässt sich bei Schwangeren mittels einer einfachen Blutprobe feststellen, ob das erwartete Kind das Downsyndrom hat.

Aber warum ist der Aufschrei in unserem Nachbarland so groß? Schließlich war (und ist derzeit immer noch) im Verdachtsfall oder bei bestimmten Risikogruppen (vor allem bei Frauen ab einem gewissen Alter) eine Fruchtwasseruntersuchung vonnöten, um festzustellen, ob das ungeborene Kind drei Kopien des Chromosoms 21, also eine Trisomie 21, hat oder nicht. Und diese Untersuchung hat ganz klar den Nachteil, dass sie das Risiko birgt, dass der Fötus verletzt wird und stirbt. Bei rund einem Prozent der durchgeführten Amniozentesen ist dies der Fall.

Tom Wenandy twenandy@tageblatt.lu

Zumeist kommt der Protest gegen den neuen Test (der auch bereits in Luxemburg erhältlich sein soll) von Behindertenorganisationen und Vereinigungen, die sich in irgendeiner Weise der sogenannten Schöpfung verpflichtet fühlen (auch noch Kirchen genannt).

Beide Seiten befürchten (wenn auch nicht immer aus den selben Beweggründen), dass die Zahl der Abtreibungen aufgrund des „PraenaTest“ zunehmen und verstärkt Kinder mit dem Downsyndrom „aussortiert“ werden könnten.

Diese Entwicklung ist vielleicht nicht ganz auszuschließen, sie erscheint aber eher unwahrscheinlich. Denn erstens steht es jedem Elternpaar bzw. jeder Mutter immer noch zu frei, zu entscheiden, den Bluttest durchzuführen oder nicht. Zweitens muss sich die betreffende Frau, sollte der Test positiv ausfallen, immer noch gegen eine Abtreibung entscheiden.

Eine prinzipielle Frage

Womit wir wieder bei der prinzipiellen Frage wären, wer – unabhängig von einer möglichen Behinderung oder Erkrankung des Fötus – darüber entscheiden sollte, ob ein Kind zur Welt kommen darf oder nicht. In Luxemburg hat die Politik diese Frage jüngst im Rahmen der Abtreibungsreform, ähnlich wie dies zahlreiche Behindertenorganisationen und die kirchlichen Verbände tun würden, dahingehend beantwortet, dass dies nicht die Mutter, unabhängig, frei von jeder Einflussnahme, sein darf.

Schließlich könnte sie sich ja gegen das Kind entscheiden.

Wie es der Frau geht, wenn sie ein Kind bekommt, das sie aus welchem Grund auch immer nicht haben will, ist zweitrangig. Die Gegner der bedingungslosen Selbstbestimmung der Frau sind zudem zweifelsohne der Auffassung, dass Schwangere überhaupt nicht fähig seien, „die richtige“ Entscheidung zu treffen.

Im Falle des PraenaTests argumentieren die Gegner dann auch, dass zahlreiche Eltern, die eigentlich kein Kind mit Downsyndrom wollten und es dann doch bekommen haben, im Nachhinein eigentlich ganz glücklich mit ihrer Entscheidung seien. Ein Argument, das so wohl nicht immer stimmt. „… glauben Sie mir, nicht alle (Eltern) sind glücklich. In diesen Debatten reden zu viele mit, die nicht einmal eine Ahnung davon haben, vor welchen Entscheidungen manche Eltern stehen“, erklärt der Berliner Pränatalmediziner John Hartung in der jüngsten Ausgabe des Spiegel in diesem Zusammenhang.

Kurzum: Wenn in einem Land das gesellschaftlich akzeptierte Angebot besteht, eine mögliche Trisomie 21 pränatal zu diagnostizieren, dann darf man im Nachhinein auch die Leute nicht verurteilen, die dieses Angebot annehmen und gegebenenfalls ihre persönlichen Konsequenzen daraus ziehen. Ebenso scheinheilig wäre es, wenn Frauenärzte zwar Fruchtwasseruntersuchungen (oder auch sogar den auf hormonellen Konzentrationen basierenden, verhältnismäßig unsicheren Triple-Test) anordnen, eine möglicherweise gewünschte Abtreibung dann aber ablehnen.

Dies muss aber nicht bedeuten, dass eine prinzipielle Diskussion über Pränataldiagnostik nicht geführt werden sollte. Ganz im Gegenteil. Denn das Downsyndrom ist nur eine von unzähligen „Anomalien“, die bereits jetzt oder in Zukunft im Mutterleib festgestellt werden könnten (wenn man denn wollte).

Die politisch Verantwortlichen müssen zusammen mit der Bevölkerung festlegen, was bis zu welcher Grenze für sie zukünftig moralisch und ethisch vertretbar ist. Gleichzeitig muss sich die Gesellschaft die Frage stellen, wie sie mit den Themen Krankheit, Behinderung und Tod fortan umgehen will. Einfach die Augen vor der Problematik verschließen geht in diesem Fall todsicher nicht.