Natürlich gedenkt man der vielen, der unendlich vielen Toten. Steht betroffen vor all den Kreuzen auf den Kriegsfriedhöfen. Schüttelt Hände, Deutsche und Franzosen. Umarmt sich innig. Hält Reden, die vorzugsweise um den Begriff der Versöhnung kreisen. Und ist gemeinsam betroffen. Nie wieder Krieg. Das verspricht man sich. Hundert Jahre, das ist lange her.
" class="infobox_img" />Janina Strötgen jstroetgen@tageblatt.lu
Bücher können helfen, Erinnerungen wachzuhalten. Sie stapeln sich auf den Eingangstischen der Buchhandlungen, jetzt zum Hundertjährigen. Und sie werden gekauft von geschichtsbewussten und interessierten europäischen Bürgern. Historische Werke, wie das sich in vielen europäischen Ländern auf der Bestsellerliste befindende Sachbuch des australischen Historikers Christopher Clark.
Oder doch lieber Romane, die durch das Erzählen persönlicher Schicksale leichter Empathie erwecken als abstrakte Fakten. Bücher von Schriftstellern wie Erich Maria Remarque, der mit „Im Westen nichts Neues“ die Schrecken des Ersten Weltkriegs aus der Sicht eines jungen Soldaten schildert. Oder von Romain Rolland, der bereits in den Anfangsjahren des Ersten Weltkriegs beide Kriegslager kritisiert und schon damals europäischen Geist versprüht.
Oder Heinrich Mann, der, im Gegensatz zu seinem Bruder Thomas, beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs keinen kulturellen Aufbruch, sondern „nichts als Trauer“ spürt. Und natürlich Henri Barbusse, der mit „Le feu“ bereits im Jahre 1915 den ersten großen Antikriegsroman veröffentlicht.
„Blumige, blutbetaute Wiesen“
Alles große Männer, alles wichtige Bücher. Doch wird bei all den Antikriegsromanen und pazifistischen Essays gerne etwas sehr Wichtiges übersehen: Als im August 1914 der Erste Weltkrieg ausbricht, hat die Kriegsbegeisterung auch viele von Europas Schriftstellern und Intellektuellen gepackt. Es sind nur sehr wenige Autoren und Autorinnen, die bereits zu Beginn des Ersten Weltkriegs ihre Stimme für den Frieden erheben.
Vielmehr entstehen Hunderte von Pamphleten und Essays, die den Krieg verherrlichen, die Nation feiern und den Tod im Schlachtgraben zu einem feierlichen Ritual verklären. Dulce et decorum est pro patria mori.
„Da hatte uns der Krieg gepackt, wie ein Rausch. (…) Ein fröhliches Schützengefecht auf blumigen, blutbetauten Wiesen. Kein schöner Tod auf dieser Welt“, schreibt der Kriegsfreiwillige Ernst Jünger in seinem ersten Buch „In Stahlgewittern“.
Ein hetzerisches, den Krieg glorifizierendes Manifest, der „Aufruf an die Kulturwelt“, wird veröffentlicht und von knapp hundert Literaten unterschrieben. Auf der anderen Seite der Front wiederum sind es vor allem der Philosoph Henri Bergson und der Schriftsteller Rudyard Kipling, die das Kriegsbeil schwingen und den Kampf gegen Deutschland regelrecht als Kampf der Zivilisation gegen die Barbarei propagieren. Kipling spricht von den Deutschen als Hunnen und vergleicht sie mit Bakterien schlimmer Krankheiten: „Für uns ist der Deutsche wie Typhus oder Pest – Pestis Teotonicus, wenn Sie so wollen.“
Nimmt man Gedenkveranstaltungen ernst, dann sollte man sie nicht auf Betroffenheitszeremonien mit Versöhnungsrhetorik beschränken, sondern den Blick in die Zukunft richten. Die Europäer haben heute, 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, 70 Jahre nach dem Hitler-Attentat und 25 Jahre nach dem Mauerfall, allen Anlass, über ihren Platz in der Welt nachzudenken.
Dazu gehört vor allem, in die eigene Zeit hineinzuhorchen, Tendenzen zu erkennen und sich in der Gesellschaft lauernder Gefahren bewusst zu sein. Und dafür können wiederum Schriftsteller wie Hermann Hesse, der den „alles andere überwältigenden Geist von Nationalismus“ seiner Zeit durchaus verstehen kann, oder wie Stefan Zweig, der in seinem wunderbaren Buch „Die Welt von Gestern“ auch den fortgeschrittenen Konformismus unter Intellektuellen beschreibt, gerade heute wieder wichtige Denkanstöße geben.
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