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Hilferuf

Hilferuf
(Tageblatt-Archiv)

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In Luxemburg haben wir gegenüber unseren Nachbarländern sehr kurze Wege, um zu einem Krankenhaus zu gelangen.

Das führt dazu, dass in Notfällen medizinische Hilfe sehr schnell geleistet werden kann. So weit zur Theorie. Die Praxis sieht aber ganz anders aus.

Roger Infalt rinfalt@tageblatt.lu

In einer unserer Kliniken angekommen, heißt das für den Patienten noch lange nicht, dass er sofort adäquate Hilfe bekommt, denn oft sind die Wege, die im Klinikum bewältigt werden müssen, viel länger als der eigentliche Weg zum Krankenhaus. Überfüllte Notaufnahmen, nicht oder nur sehr schlecht funktionierende Ärztehäuser, völlig überlastetes Personal, wortkarge und sehr schlecht gelaunte Krankenpfleger und Mediziner, abschätzige Haltung gegenüber den Patienten, schlecht organisierte, teils absolut unkoordinierte Arbeitsabläufe … all dies und noch viel mehr ist an der Tagesordnung.

„Das Personal leidet unter der wachsenden Arbeitsbelastung, zudem haben Pfleger und Schwestern immer weniger Zeit für einen menschlichen Kontakt zum Patienten“, so ein Chefpfleger dem Tageblatt gegenüber, der aber aus Angst vor hausinternen Repressalien anonym bleiben möchte.

„Ich übertreibe keinesfalls, wenn ich behaupte, dass in vielen Fällen die Gesundheit, ja das Leben des Patienten deswegen gefährdet ist! Gute Pflege bedingt qualifiziertes Personal und eine Arbeitsorganisation, die es ermöglicht, eine Beziehung zum Patienten aufzubauen. Dafür fehlt oft – um nicht zu sagen immer – die Zeit.“

Neuer Beruf!?

So gibt es in unseren Kliniken, Pflege- und Seniorenheimen täglich Situationen, in denen Dinge unterlassen werden müssen, die eigentlich gemacht werden müssten. Ein Beispiel: das Gespräch mit den Patienten. Satt und sauber reicht nicht aus. Dessen sind sich Pflegekräfte bewusst und doch sparen sie an der Kommunikation. Sie befinden sich in einem Dilemma, in ihrem Berufsethos getroffen. Das überfordert sie und macht auf Dauer krank. „Diese Entwicklung hat sich in den letzten Jahren verschärft“, sagt der Chefpfleger.

Dazu kommt, dass das bestehende Personal mehr Zeit am Computer verbringt als am Krankenbett. Das heutige System, das ihnen vorschreibt, wie viele Sekunden oder Minuten sie für die Grundpflege, für das Anlegen eines Wundverbandes, für die Blutentnahme, für das Anlegen einer Windel bei inkontinenten Patienten usw. benötigen dürfen, setzt voraus, dass sie über ihre Gesten genauestens Buch führen müssen. So wurde mit der Zeit ein neuer Beruf geschaffen, nämlich der des „Infirmier bureautique“.

Die Manager an der Spitze der einzelnen Kliniken und Pflegehäuser jubilieren und gehen in ihrer Sparwut so richtig auf. Auf der Strecke bleiben die Patienten.

Ich höre jetzt schon die, die lauthals aufschreien, das sei alles überhaupt nicht so, sondern eben ganz anders. Das sind Leute, die nicht am Krankenbett stehen, sondern mit einem Rechenschieber durch die Gänge geistern.

Hauptsache, im Unternehmen Klinik oder Heim läuft in den Augen der hausinternen Manager alles optimal. Die Patienten stören eigentlich nur.

(Roger Infalt/Tageblatt.lu)