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Jenseits des Kanals

Jenseits des Kanals
(Tageblatt)

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In einer rezenten Ausgabe schreibt der Londoner Economist, eine Art neoliberales Wort zum Freitag, dass es durchaus sinnvoll ist, wenn ein einzelner Unternehmer möglichst niedrige Lohnkosten für seinen Betrieb anstrebt, dass dieser Unternehmer darüber aber nicht vergessen darf, dass die Arbeitnehmer ihr Gehalt eben auch als Kunde der Gesamtwirtschaft ausgeben und diese damit leben lassen.

Francis Wagner fwagner@tageblatt.lu

Eine Binsenwahrheit, möchte man meinen, und doch scheinen für viele Unternehmer Arbeitnehmer, die über eine hohe Kaufkraft verfügen, ein Ding des Teufels zu sein: In weiten Teilen der USA etwa wird das Recht auf gewerkschaftliche Organisation der Arbeiter nach wie vor mit allen zu Gebote stehenden Mitteln hintertrieben und bekämpft. Die Fachzeitschrift Flight International schreibt, dass dem Versuch der Metallarbeiter-Gewerkschaft IAM, die Belegschaft eines neuen Boeing-Werkes in South Carolina zu organisieren, sogar mit der Androhung von Waffengewalt begegnet wurde.

Dies macht einmal mehr deutlich, dass die Koalitionsfreiheit, das Recht der Menschen, sich in Vereinigungen – z.B. in Gewerkschaften – zusammenzuschließen, zwar zu einem der grundlegenden Menschenrechte gehört, dieses aber in den USA systematisch mit Füßen getreten wird. Dies ist insofern natürlich von Belang, als sich die USA weltweit als die großen Anwälte von Democracy & Freedom ausgeben und sogar mit einer gewissen Regelmäßigkeit den Einsatz ihrer Streitkräfte in fremden Ländern mit ausgerechnet deren Verteidigung zu rechtfertigen versuchen.

Für uns Europäer ist die Missachtung der elementaren Arbeitnehmerrechte und mithin der Menschenrechte in den USA auch deshalb Anlass zur Sorge, weil die Amerikaner ihre brachialkapitalistische Wirtschaftsform mittels des Freihandelsabkommens TTIP auch der Alten Welt aufzwingen wollen. Es darf aber auf keinen Fall sein, dass ein US-Konzern, der in Europa durch gewerkschaftliche Aktionen zu Konzessionen gezwungen wird, versucht, diese im Nachhinein mithilfe obskurer Schiedsgerichte, die durch nichts demokratisch legitimiert sind, zu torpedieren.

Zurück zum Economist: Das neoliberale Zentralorgan erinnert daran, dass etwa in Großbritannien die Nettolöhne nun schon seit vier Jahren in Folge ununterbrochen sinken. Was den kurzsichtigen, ideologisch verbohrten Teil des Patronats sehr freuen dürfte. Doch sinkende Arbeitnehmer-Kaufkraft bedeutet halt eben nicht nur weniger Umsatz für die Wirtschaft, sie führt auch dazu, dass die britische Wirtschaft eine reichlich lausige Produktivität aufzuweisen hat.

Wen wundert’s: Wer von seinem Arbeitgeber stets nur als Kostenfaktor betrachtet wird, den man mittels einer maximal „flexiblen“ Arbeitsgesetzgebung auszupressen trachtet wie eine Zitrone, die man nach Gebrauch wegschmeißt, der darf sich nicht wundern, wenn sich bei vielen dieser „wandelnden Kostenfaktoren“ hinter einer Fassade der Dienstfertigkeit massenhaft die innere Kündigung breitmacht.