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Ansichtssache

Ansichtssache
(Tageblatt)

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Ein 23. Juni in Luxemburg: Es regnet, die Kinder ziehen Wollmützen an, der Bus lässt auf sich warten. Ist wohl an einer der Baustellen hängen geblieben.

Auf der „Kinnekswiss“ angekommen, pinkelt der Hund erst einmal in das akkurat geometrisch angelegte Blumenbeet, die Kinder flitzen in alle Richtungen, die Schlange am Würstchenstand wirkt endlos, als Alternative gibt es Kirschen, aus Portugal, für 10 Euro das Kilo.

Logo" class="infobox_img" />Janina Strötgen jstroetgen@tageblatt.lu

Einige der Besucher schauen grimmig drein, schimpfen über den Müll, den Lärm, die vielen Menschen, die überfüllteten Parkhäuser und verspäteten Busse. Andere freuen sich, es ist Nationalfeiertag, Zeit für die Familie, Zeit zum Feiern. Schön, dass die Stadt so voll ist, so voller Leben!

Im Radio wird gerade die Rede unseres Premiers übertragen: „Nous nous engageons pour le maintien de la qualité de vie exceptionnelle dans notre pays“, so der Wortlaut.

Das kommt einem irgendwie bekannt vor: In Luxemburg lässt es sich gut leben. So der allgemeine Konsens. Schon das offizielle Internetportal des Großherzogtums weist den Weg. Dort steht als erster Satz geschrieben: „Luxemburg steht für Lebensqualität.“

Und dennoch scheint nicht jeder damit einverstanden zu sein. Man hört viel Gemecker an diesem 23. Juni. Viele grimmige Gesichter, die mit der Lebensqualität im Ländchen wohl nicht so zufrieden sind. Und auch Xavier Bettel macht ein paar Sätze weiter eine klare Einschränkung, relativiert seine euphorische Anfangsaussage, gibt zu, dass die „außergewöhnliche Lebensqualität“ wohl nicht jeden betrifft: Es gebe zu viele Arbeitslose im Land, zu viele Familien, die am Ende des Monats jeden Euro umdrehen müssten, zu wenig Wohnraum. Alles Baustellen, an denen die Regierung in Zukunft hart arbeiten müsse, um die Lebensqualität möglichst aller Einwohner des Landes zu sichern.

Das ist löblich. Ist die Politik doch dafür verantwortlich, objektive Faktoren für eine hohe Lebensqualität – ein gerechtes Sozialsystem, ein gutes Bildungs- und Gesundheitswesen, materielle Sicherheit, Wohnraum, das Leben im Einklang mit der Natur, um nur einige zu nennen – zu gewährleisten und immer wieder aufs Neue zu verteidigen. Denn je stabiler dieser Rahmen ist, desto größer sind die Gestaltungsmöglichkeiten jedes Einzelnen. Schließlich ist Lebensqualität vor allem eine individuelle Sache, „die subjektive Wahrnehmung einer Person über ihre Stellung im Leben“, wie die Weltgesundheitsorganisation zusammenfasst.

Und deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass die Meckerer auf der „Kinnekswiss“ keineswegs jene sind, die objektiv einen Grund zum Meckern haben, die vom System Vernachlässigten, die Arbeitslosen, die Familien in zu kleinen Wohnungen, sondern eher jene, die für ihren Porsche Cayenne keinen Parkplatz in unmittelbarer Reichweite gefunden haben. Wie gesagt: Lebensqualität ist Ansichtssache.