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So rechts denkt Europa

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(Tageblatt)

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Neulich bei Twitter. Journalist A: „Kaum ein anderes Land erhält so günstige Kreditkonditionen wie Griechenland im dritten Hilfspaket.“

Antwort Journalist B: „Etwas einseitig und polemisch, wenn man die Bedingungen des Hilfspakets nicht thematisiert.“ Es folgt eine Auseinandersetzung. In keiner Weise ist es nur ansatzweise möglich, Journalist A zu verdeutlichen, dass auch Athen eine bittere Pille schlucken musste. Im Gegenteil. Journalist A verweist darauf, dass viele Länder für Griechenland zahlen müssten – „Luxemburg nicht“ – und dass die Zinskonditionen für Griechenland mit „geschenktem“ Geld vergleichbar seien. Klartext A: Wer nicht direkt für Griechenland haftet, sollte am besten schweigen und keine Meinung haben.

Logo" class="infobox_img" />Dhiraj Sabharwal dsabharwal@tageblatt.lu

Wozu diese kleine Anekdote? Sie verdeutlicht, dass selbst Journalisten, die sich mit der professionellen Vermittlung von Informationen beschäftigen und dabei ausgewogen berichten sollten, bei der Griechenland-Frage auf keinen gemeinsamen Nenner mehr kommen: Die Diskussion über den Schuldenstreit zwingt den Beobachter zu einseitigen Glaubensbekenntnissen.

Wer sich auf die Seite der Gläubiger stellt, bewertet zwangsläufig alle Handlungen aus Athen als billiges Feilschen und Stümperei. Wer sich auf die Seite der Griechen stellt, wird als hoffnungsloser Weltverbesserer dargestellt. Dass die Vorgängerregierungen von Syriza Fehler gemacht haben und das griechische Staats- sowie Steuerwesen sehr wohl reformbedürftig sind, steht außer Frage. Allerdings wünscht man sich im Hinblick auf die soziale Dimension des Schuldenstreits auch Einsicht auf der Gegenseite…Fehlanzeige.

Wieso aber ist die Debatte über ein derart komplexes Thema zu einer banalen Schwarz-Weiß-Malerei verkommen? Wieso wird jemand mit gemäßigtem, pro-europäischem Gedankengut als Linker oder Weltverbesserer kritisiert, wenn er lediglich für mehr Solidarität mit Griechenland plädiert? Die Antworten auf beide Fragen sind ernüchternd.

Erstens: weil die Gegenseite keine Kritik mehr zulässt. Wer differenziert, bekommt entweder die „Wir müssen zahlen“-Keule zu spüren oder das „Alle außer Athen sind schuld“-Mantra zu hören. Umso stärker setzen sich plakative, plastische und einseitige Schuldzuweisungen während Gesprächen durch. Zweitens: weil in der Diskussion über den Schuldenstreit keine Alternativen mehr von der Gläubigerseite geduldet werden. Wer es auch nur wagt, die Bedingungen der Hilfspakete oder die Funktionsweise der europäischen Institutionen in Frage zu stellen, wird für die Gläubigerfraktion zum systemkritischen Marxisten. Dabei zeigt das späte Einlenken des Internationalen Währungsfonds, und selbst die Uneinigkeit innerhalb der deutschen Regierungskoalition, dass es sich bei Ideen wie einem konsequenten Schuldenschnitt für Athen um alles andere als Material, aus dem revolutionäre Träume gemacht sind, handelt.

Man sollte sich folglich als unabhängig denkender Beobachter nicht davon einschüchtern lassen, den „Linke“-Stempel aufgedrückt zu bekommen, nur weil man soziale Errungenschaften des Wohlfahrtstaats verteidigt oder mehr Verständnis für ein gebeuteltes Volk verlangt. Es verdeutlicht lediglich, wie rechts Europa heutzutage denkt.