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Mehr als nur Asphalt

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Heute Nachmittag ist es so weit. Die Nordstraße wird für den Verkehr freigegeben. Wer glaubt, dass es hier einzig und allein um einen viel zu teuren Asphaltstreifen geht, der irrt gewaltig. Um das zu verstehen, muss man in der Geschichte zurückblättern.

Sowohl im Zentrum als auch im Osten und Süden des Landes gab es vor einem Vierteljahrhundert bereits Hauptverbindungsachsen, sei es Schnellstraßen oder Autobahnen. Solche guten Verbindungen brachten unter anderem mit sich, dass sich Betriebe in den neu angelegten Handelszonen entlang dieser Straßen niederließen. In Gegenden, wo es an Arbeitsplätzen mangelte und wo Weltkonzerne plötzlich Fabriken dichtmachten, entstanden neue Arbeitsplätze.

Roger Infalt rinfalt@tageblatt.lu

Nur im Norden des Landes war dies nicht der Fall. Auch dort mussten große Betriebe – meist Ableger von internationalen Firmen – ihre Türen schließen. Alle Versuche, Interessenten für die bestehenden oder neu geschaffenen Gewerbezonen zu finden, verliefen ohne nennenswerte Resultate, trotz des unermüdlichen Einsatzes einzelner Bürgermeister und Politiker. Die Verbindungen zwischen dem europäischen Straßennetz und dem Norden Luxemburgs waren einfach zu schlecht.

Das Ösling stand mit leeren Händen da und fühlte sich vom Rest des Landes abgekapselt. Die „Nordstrooss“, so glaubte man damals, sei die Lösung des Problems. Niemand wusste zu jenem Zeitpunkt, dass die Planung und der Bau einer solchen Straße satte 26 Jahre lang dauern würden.

Dann ging es drunter und drüber. Erste Teile der Nord-Zentrum-Verbindung waren eigentlich schon Realität, als die Diskussionen um mögliche Varianten der Trasse begannen. Zu einem gewissen Moment gab es deren ganze sechs! Ost-Variante, West-Variante, Öko-Variante usw., usf. Politiker bekamen ordentlich Zoff untereinander, ja sogar Politiker der gleichen Couleur gerieten sich derart in die Haare, dass sie ihrer Partei den Rücken kehrten. In der Abgeordnetenkammer flogen die Fetzen, die Emotionen schlugen Purzelbäume. Diese Straße war bereits zu dem Zeitpunkt weit mehr als nur ein Asphaltstreifen.

Es entbrannte ein Für und Wider den Norden, der Kostenpunkt löste vielerorts Entsetzen aus und die Grünen sowie die Umweltorganisation(en) mischten zudem das Volk auf.

Im Laufe der Zeit wurde es den Leuten aus dem Norden zu blöd. Sie dachten um. Mit dem Resultat, dass eine Stadt wie Wiltz, um nur dieses Beispiel zu nennen, mit ihren großflächigen Industriebrachen und sonstigen leerstehenden Gebäuden andere Interessenten wie Hochschulen, Klein- und Mittelbetriebe u.v.m. anlocken konnte. Es entwickelten sich zudem Kulturstätten, die heute Besucher aus allen Gegenden des Landes und darüber hinaus anziehen, es kam Bewegung in die Geschäftswelt, Lyzeen wurden und werden immer noch aus- und neu gebaut usw.

Die Nord- oder Zentrumsstraße – egal, wie man sie heute nennen mag – wird demnach nicht nur eine adäquate Verbindung zwischen dem europäischen Verkehrsnetz und dem Norden des Landes herstellen, sondern wird ein Bindeglied zwischen zwei Landeshälften sein, die zwar auf ihre jeweils ganz eigene Art ihre Zukunft geplant haben, aber nur gemeinsam stark sein können.