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Der europäische Traum

Der europäische Traum
(Tageblatt)

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In Europa hat es sich ausgeträumt. Wer heute „Brüssel“ sagt, der denkt an eine abgehobene Verwaltung, Mauscheleien hinter verschlossenen Türen, Technokraten und an Lobbyisten.

Ganz passend drückte dies letztens ein ehemaliger hoher EU-Beamter aus, der jedoch nicht zitiert werden wollte: „Europa ist attraktiv für Syrer und Iraker – nicht aber für Europäer.“ Außerdem klagte er über politisches Chaos, fehlende Reformen und eine verlorene Vision.

Christian Muller cmuller@tageblatt.lu

Dabei ist es noch nicht lange her, da stand die Europäische Gemeinschaft für Wohlstand und Fortschritt. Früher ging es um die Sicherung von Menschenrechten, um das Öffnen von Grenzen, um das friedliche Zusammenleben.

Heute herrscht Misstrauen gegenüber einem „Brüssel, das niemand mehr versteht“. Die Strukturen sind kompliziert. Präsidenten gibt es eine ganze Menge. Die Themen, mit denen sich „Brüssel“ heute beschäftigt, gehen von Banken-Union und Grenzschließungen hin zu milliardenschweren Hilfen für hoch verschuldete Euro-Staaten und dem Aushandeln von ungeliebten Freihandelsabkommen. Alles Themen, die die Menschen in ihrem täglichen Leben kaum bewegen – und wenn, dann überwiegt im Prinzip die Skepsis.

Gleichzeitig hat die Gemeinschaft es schwierig, das Fundament des Zusammenlebens – den allgemeinen Wohlstand – weiter zu fördern. Das Wachstum der Zukunft wird in Asien erwartet. Wer ein innovatives Unternehmen gründen will, der denkt USA. Nicht einmal die Aufsichtsbehörden scheinen zu funktionieren: Wenn ein europäischer Konzern mogelt, dann fällt das nur den Behörden in den USA auf.

Die kommende Generation kann sich nicht mehr automatisch darauf freuen, dass sie es besser haben wird als die ihrer Eltern. Schuldenberge, Umweltverschmutzung und Arbeitslosigkeit belasten die Zukunft.

Als Entschuldigung wird oft angebracht, die Europäer seien „satt.“ Dem widerspricht jedoch ein einfacher Blick auf die Zahlen: Insgesamt 17,6 Millionen Bürger der Eurozone (11 Prozent) waren im August auf der Suche nach einer bezahlten Arbeit. Verglichen mit Juli 2015 ist die Zahl der Arbeitslosen um gerade einmal 1.000 Personen gefallen. Allein die Schuld auf die Finanzkrise zu schieben, reicht auch nicht: Im Jahr 2005 lag die Arbeitslosenquote bereits bei 9 Prozent.

Europa muss seiner Jugend auch künftig wieder Perspektiven bieten. Die Europäische Gemeinschaft hat den Mitgliedstaaten jahrzehntelangen Frieden und Wirtschaftswachstum gebracht. Daran kann sie anknüpfen. Die EU braucht ein neues Projekt, etwa um Arbeit für die Menschen zu schaffen. Dabei hilft ihr, dass viele der heutigen Probleme nicht auf nationaler Ebene, sondern nur international gelöst werden können. Die EU eignet sich somit zu mehr als nur zu einem Sündenbock. Auch Geld für neue Projekte gibt es derzeit genug. Die politischen Ideen aber fehlen.

Auch Garantien wie europaweite soziale Mindeststandards dürften helfen, um Europa wieder populärer zu machen. Die Gemeinschaft muss wieder mehr zu einem Europa für die Bürger – nicht nur für Technokraten – werden.