Tageblatt: Im Mai haben Sie einen Kreuzbandriss erlitten und standen seitdem nicht mehr auf dem Feld. Wie weit ist die Genesung fortgeschritten?
Olivier Thill: Alles ist sehr gut verlaufen. Kommende Woche ist es sechs Monate her, dass ich mich verletzt habe. Am vergangenen Dienstag habe ich meine Kraftdefizit-Tests absolviert. Derzeit habe ich in meinem verletzten Bein 16 Prozent weniger Muskelmasse als in meinem gesunden Bein. Normalerweise kann man ab 15 Prozent wieder spielen. Es sieht gut aus und der Heilungsprozess ist schneller fortgeschritten als geplant. Ich bin kurz davor, wieder ins Mannschaftstraining einzusteigen. Laut Plan werde ich in zwei Wochen in die Türkei reisen.
Sportlich hätte 2022 das beste Jahr Ihrer Profikarriere werden können. Dann brach jedoch der Ukraine-Krieg aus und später kam die Verletzung hinzu. Wie sind Sie mit dieser Situation umgegangen?
Es war mit Sicherheit die schwierigste Zeit in meiner Karriere. Ich war auf dem besten Weg, die beste Saison meiner Karriere zu spielen und hätte im Sommer mit hoher Wahrscheinlichkeit einen besseren Verein in einer besseren Liga finden können. Aber ich blicke nach vorne. Eyüpspor ist ein guter Verein, ich will kommende Saison in der Süper Lig spielen und mein neuer Wohnsitz Istanbul ist auch eine tolle Stadt zum Leben.
In zwei Wochen geht es laut Plan wieder zurück in die Türkei. Eyüpspor steht derzeit mit einem großen Vorsprung auf Platz eins. Wie stehen Ihre Chancen auf Spielzeit?
Wir haben eine sehr gute Mannschaft und der Aufstieg muss das Ziel sein. Für mich ist es ein Neustart. Den Trainer kenne ich aus der vergangenen Saison, aber der Verein hat im Sommer 20 neue Spieler verpflichtet. Ich kann in den ersten Wochen keinen Stammplatz einfordern. Ich werde aber alles dransetzen, so viel wie möglich Spielzeit zu bekommen und unser Ziel zu erreichen, in die erste türkische Liga aufzusteigen. Das war von Anfang an das Ziel und wegen dieser Perspektive habe ich auch bei Eyüpspor unterschrieben. Das kurzfristige Ziel ist es, beim Rückrundenstart am 15. Januar wieder im Kader zu stehen.
Es wäre schade, wenn ich nicht mehr zusammen mit meinen Freunden mein Land vertreten könnte
Nationaltrainer Luc Holtz sagte vor rund zwei Wochen auf einer Pressekonferenz, dass es fast keine Kommunikation zwischen Ihnen und dem Betreuerstab der Nationalmannschaft gibt. Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen?
Der medizinische Betreuerstab der FLF wird über meine Tests immer auf dem Laufenden gehalten. Wenn man mehr Details zu meinem Gesundheitszustand wissen will, dann kann man sich immer bei mir melden. Das wurde aber nicht gemacht. Ich kann mir auf jeden Fall nicht vorwerfen lassen, die FLF nicht genügend über mein Rehaprogramm informiert zu haben.
Das ist aber wohl nicht das einzige Problem?
Ich will nicht in jedes einzelne Detail gehen, denn das würde zu weit gehen. Im vergangenen Frühling habe ich mich dazu entschieden, meine Reha zusammen mit dem Physiotherapeuten meines Vertrauens zu machen. Das ist bei der FLF nicht gut angesehen. Ich will betonen, dass ich kein Problem mit dem FLF-Physio habe, es ist aber nun einmal so, dass jeder seine Präferenzen hat. Ich finde es traurig, dass ich diese Entscheidung nicht selber treffen kann, ohne Konsequenzen zu spüren zu bekommen.
Von welchen Konsequenzen reden Sie?
Ich habe eine SMS von Luc Holtz bekommen, in der zu lesen war, dass ich bis auf Weiteres aus der A-Nationalmannschaft suspendiert wurde. Meinen Teamkollegen aus der FLF-Auswahl wurde dies auch bereits offiziell mitgeteilt. Ich finde es traurig, dass es wegen meiner Entscheidung, einen anderen Physiotherapeuten zu nehmen, so weit kommen musste.
Sie sind derzeit noch nicht komplett genesen und könnten eh nicht für die Nationalmannschaft berufen werden. Was bedeutet eine Suspendierung konkret?
Stand heute gehe ich davon aus, dass ich für die Länderspiele im März nicht nominiert werde. Durch die Suspendierung wurden mir auch während meines Heilungsprozesses Steine in den Weg gelegt. Weil ich nicht mehr Teil des A-Kaders bin, durfte ich meine Reha am LIHPS (Luxembourg Institute for High Performance in Sports, Anm. d. Red.) nicht mehr fortsetzen. FLF-Präsident Paul Philipp hat sich dann aber für mich eingesetzt und ich durfte wieder in die Coque gehen.
Wird beim nationalen Fußballverband ganz klar gesagt, dass die Nationalspieler nur mit den Physiotherapeuten der FLF zusammenarbeiten dürfen?
Nach meiner Operation wurde mir mitgeteilt, dass es meine Entscheidung ist, mit wem ich zusammenarbeite. Mir wurde aber auch deutlich gesagt, dass ich keine Hilfe mehr bekäme, wenn ich mich für eine externe medizinische Behandlung entscheide. Dann gäbe es keine Unterstützung mehr. Ich habe die Nachricht verstanden, aber ich habe das Recht, meine eigene Entscheidung zu treffen, wenn es um meine Gesundheit geht. Wenn mein Verein von mir fordern würde, mit dem klubeigenenen medizinischen Betreuerstab zusammenzuarbeiten, würde ich es mir überlegen und es auch eher verstehen.
Wie geht es jetzt für Sie weiter?
Ich kann an dieser Situation nicht viel ändern. Ich bin der Meinung, dass ich professionell und seriös arbeite und immer korrekt gehandelt habe, hätte jedoch nie gedacht, dass diese Entscheidung zu einer Suspendierung führen würde. Ich bin mir bewusst, dass ich nichts falsch gemacht habe, will aber auch keinen Streit herbeiführen. Es wäre schade, wenn ich nicht mehr zusammen mit meinen Freunden mein Land vertreten könnte. Wenn es aber dabei bleibt, dann habe ich noch immer meinen Verein und meine Familie. Jetzt konzentriere ich mich auf meinen Fußball und verschwende keine Energie mehr mit diesem Thema.
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